Machtrausch
nächsten Jahr für den nordrheinwestfälischen Landtag kandidieren. Meine Tage bei Schuegraf sind also gezählt. Wenn ich kurz vor meiner Kandidatur als hiesiger Werksleiter hunderte von Stellenstrei-
chungen bekannt geben muss, werde ich von der Lokalpresse abgeschossen. Wie soll jemand, der nicht einmal als örtlicher Manager eines Konzerns einen Arbeitsplatz-erhalt in der Zentrale durchsetzen kann, der gesamten Region bei der Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit helfen ?« Brosi hatte ihn erwartungsvoll angesehen, ganz so, als sei er wirklich gespannt auf die Antwort.
»Nun, ich verstehe. Gute Gründe. Jedenfalls für Sie und für die Arbeiter hier. Nicht aber für Schuegraf – und allein im Auftrag der Firma bin ich hier .« Etwas wie Enttäuschung hatte sich auf Brosis Gesicht breitgemacht. Konnte der so naiv sein?
»Nun, exakt so habe ich Sie eingeschätzt, Glock. Kommen wir also zum dritten Grund für Sie, der Zentrale den Erhalt unseres Werkes dennoch zu empfehlen: Meine Frau .« Fragender Blick seines Gegenübers. Wollte Brosi ihm seine Frau anbieten?
»Deren Schwester ist mit Nagelschneider verheiratet, unserem geschätzten Finanzvorstand. Und jener hört bei Personalentscheidungen ganz gerne einmal auf seine Frau … Sie wollen doch in ein paar Jahren ihren Chef, diesen Röckl, beerben, oder! ?«
Dr. Anton Glock hatte den Erhalt des deutschen Werkes empfohlen. Bei der Gesamtbewertung der Chancen und Risiken einer Verlagerung nach Holland hatte er das Qualifikationsdefizit der Holländer etwas übertrieben und als so großen Unsicherheitsfaktor dargestellt, dass dieser schließlich den Ausschlag für einen Verbleib der Fertigung in Münster gegeben hatte. Glock war durchaus bewusst gewesen, eine unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten falsche Empfehlung gegeben zu haben. Und ihm war auch durchaus klar gewesen, die Entscheidung keineswegs manipuliert zu haben, um die Münsteraner Arbeitsplätze zu schützen, sondern um seiner Karriere den vielleicht entscheidenden Schub zu geben. Hier kam, leicht abgewandelt, erneut sein Gesetz über die Selbsttäuschung zur Anwendung: Ein Manager muss wohldosiert andere täuschen, um Erfolg zu haben. Selbsttäuschung aber lässt einen Manager scheitern. Ein schlechtes Gewissen hatte er bei der Entscheidung nicht gehabt. Sein Vater war vor der Pensionierung ein kleiner, unbedeutender Bankangestellter in Landshut gewesen, der dank seiner biederen Ehrlichkeit und Solidität von praktisch jedem Kollegen überholt worden und nie über die kleine, dunkle Dreizimmerwohnung am Grätzberg hinausgekommen war, in der Glock mehr als beengt aufgewachsen war. Er hingegen hatte sich früh den Spruch »Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner« zu Eigen gemacht. Als exzellenter Schüler hatte er selbstverständlich jeden Klassenkameraden abschreiben lassen. Nie jedoch ohne Gegenleistung.
Es funktionierte tatsächlich. Glock hatte die Sache beinahe schon vergessen, da hatte er – Brosi saß bereits seit längerer Zeit im Landtag – vor etwa einem Jahr die überraschende Einladung zu einer Dinnerparty im Hause Nagelschneider im Münchner Nobelviertel Grünwald erhalten und so die Gelegenheit gehabt, sich halb privat bei dem äußerst wichtigen Vorstand einzuführen. Barbara hatte die Teilnahme verweigert. Denn, so meinte sie trocken, Antons Erscheinen dort sollte schließlich seiner Karriere nützen, nicht schaden. Ihre ausgeprägte Meinung zur Höhe deutscher Vorstandsbezüge in schwierigen Zeiten würde diese schöne Hoffnung hingegen schnell zunichte machen …
Obwohl Glock einen Vorteil erkannte und zu nutzen wusste, und obwohl er keine großen Bedenken hatte, Situationen zu seinen Gunsten und anderer Leute Ungunsten auszunutzen, überforderten ihn die aktuellen Ereignisse zunehmend. Dass Röckl so schnell auf der Strecke bleiben sollte, war natürlich grundsätzlich in Ordnung. Die Abteilung konnte frischen Wind gebrauchen und Glock war bereit, diesen durch die Büros zu blasen. Sein Chef würde eine gute Abfindung und eine ordentliche Pension beziehen und konnte dann seine Freizeit genießen. Was wollte er mehr? Mitleid war hier fehl am Platze. Die geforderte Entlassung von Rauch erschien ihm jedoch sinnlos und willkürlich. Er verstand die zu Grunde liegende Logik nicht. Wem nutzte das? Was ihn wieder zu der Frage führte, warum jemand so viel Wert darauf legte, ihn zur Annahme eines Jobs zu zwingen, den er ohnehin seit Jahren angestrebt hatte?! Tief in diesen
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