Machtrausch
auch das restliche Wochenende plätscherte friedfertig und belanglos dem Montag entgegen. Glock wusste, dass er Montag bei Nagelschneider zusagen würde. Der neue Job würde ihn mit einem Schlag in den erlesenen Zirkel der Innersten Führungsgruppe, im Firmenjargon IFG genannt, katapultieren. Es gab keinen Grund, eine berechtigte Beförderung nur darum abzulehnen, weil der Job sich schwieriger gestalten würde, als ursprünglich angenommen. Auch wenn der Drohbrief zeigte, dass es mysteriöse Kreise gab, die ein Interesse an seiner Annahme des Jobangebotes hatten – er hatte dieses Interesse ebenfalls.
Mittelspiel: Weiß im Vorteil
»Die Menschen bewohnen und bewegen das große Tretrad des Schicksals und glauben darin, sie steigen, wenn sie gehen .«
Jean Paul
7
»Gratulation zu Ihrem Aufstieg! Ich war mir sicher, dass Sie zusagen! Dann gehen Sie jetzt direkt zur Personalabteilung und schmeißen Sie als erste Amtshandlung den werten Herrn Rauch raus !« Glock glaubte, sich verhört zu haben.
»Bitte? Aber wieso Rauch? Und wieso ich? Röckl wird doch erst in einem halben Jahr pensioniert, ich kann mich unmöglich jetzt schon in seine Angelegenheiten einmischen und irgendwelche Leute seiner Abteilung entlassen …«, brachte Glock mühsam heraus, während sich ihm Stahlgurte um die Brust legten und ihm das Atmen schwer machten. Die Antwort war natürlich schwach, aber Nagelschneider hatte ihn total überrumpelt. Er war sich sicher gewesen, mit seiner Zusage erst einmal Zeit gewonnen zu haben, aber die Ereignisse schienen sich weiter zu beschleunigen. Der hagere Finanzvorstand lehnte sich im Ledersessel seiner Besprechungsecke zurück und erwiderte:
»Warum Rauch? Weil ich es sage, und weil die Firma einen faulenzenden und zersetzenden Idioten wie ihn schon viel zu lange duldet!« Bei diesen Worten spritzten zwei bis drei kleine Speicheltröpfchen auf die makellos saubere Glastischplatte.
»Ach ja, und ihr werter Chef Röckl wird noch diese Woche seine vorzeitige Pensionierung unterschreiben. Es wäre äußerst töricht von ihm, wenn er es nicht täte! Machen Sie sich also darauf gefasst, die Leitung der Strategieabteilung bereits in den nächsten Tagen zu übernehmen! Muffensausen?!« So hatte er Nagelschneider noch nie kennen gelernt, der in der Firma als feiner, alter und etwas langsamer Herr galt. Glock überlegte fieberhaft, wie er Zeit gewinnen konnte. Es fiel ihm nichts ein. Nagelschneider fuhr fort:
»Ich lasse Sie rufen, sobald die Sache mit Röckl unter Dach und Fach ist. Erledigen Sie solange das Thema Rauch, verstanden! ?« Glock hörte sich irgendetwas stammeln, stand auf, schüttelte dem ihn skeptisch betrachtenden Vorstand die Hand und wollte den Raum verlassen, als ihm etwas einfiel:
»In meiner neuen Position berichte ich zwar direkt an Sie, Herr Nagelschneider, werde aber auch viel mit unserem Vorstandsvorsitzenden, von Weizenbeck, zu tun haben. Auf dessen Akzeptanz bin ich unbedingt angewiesen. Wie ist denn die Meinung Ihres Vorstandskollegen in Bezug auf meine Beförderung? Ich habe ihn bislang noch nicht einmal kennen gelernt. Meinen Sie nicht, dass es ratsam wäre, dies noch kurzfristig vor meiner Ernennung nachzuholen ?« Schwupp, sein Testballon war aufgestiegen. Dem ehrwürdigen Nagelschneider war für den Bruchteil einer Sekunde eine gewisse Verärgerung anzumerken, doch dann hatte er sich wieder im Griff.
»Gute Idee. Theoretisch. Unter normalen Umständen hätte natürlich nichts dagegen gesprochen. Aber Sie können sich ja denken, was mein Kollege, der erst seit wenigen Wochen im Amt ist, derzeit um die Ohren hat. Sie werden trotzdem seine volle Unterstützung bei den schwierigen Aufgaben haben, die zweifellos bald auf Sie zukommen werden. Und kennen lernen werden Sie von Weizenbeck dann im Zuge Ihrer Arbeit ohnehin noch früh genug. Warten Sie es ab !« Testballon ergebnislos in den Wolken verschwunden. Zwei Minuten später verließ Glock das Büro seines zukünftigen Chefs, der ihn zum Abschied unnötigerweise noch einmal an den gewünschten Rausschmiss seines Kollegen und Zimmergenossen Alois Rauch erinnerte. Glock nickte bloß und verließ eilig das Vorstandsbüro in der elften Etage.
Natürlich ging er nicht als erstes zur Personalabteilung, denn es war ihm auch ohne fachkundige Beratung der Personaler klar, dass die Firma Alois Rauch nicht so einfach würde entlassen können. Der Mann
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