Machtrausch
vor sich selbst.
»Und bei der Lieferung dachte ich an unseren alten Freund Volker, der sich damit jede Woche ein paar Euro schwarz verdienen könnte !«
»Warum nicht? Soll ich ihn morgen gleich anrufen? Der wird sich freuen, vor allem, wenn er dir gleichzeitig auch noch helfen kann .« Volker war ein alter Freund der beiden, der vor dreieinhalb Jahren eine echte Pechsträhne erlitten hatte, von der er sich bis heute nicht vollkommen erholt hatte. Volker war, was seine Neigung, das Pech erst gekonnt anzuziehen und dieses dann mit Humor zu ertragen, eine Art liebenswerte Mischung aus Donald Duck und dem alttestamentarischen Hiob. Er hatte als Chef-Kameramann in einem Filmstudio gearbeitet und war nach dessen Pleite arbeitslos geworden. Zeitgleich hatte sich herausgestellt, dass er unter einer seltenen Variante der Glasknochen-Krankheit litt, so dass er keiner der von ihm so geliebten Extremsportarten mehr nachgehen konnte. Seine Frau hatte ihn nach nur zweijähriger Ehe verlassen. Die kleine Tochter hatte sie wie selbstverständlich mitgenommen und untersagte Volker mit allerlei juristischen Spitzfindigkeiten und Verleumdungen, seine eigene Tochter zu sehen. Er hatte nicht einmal ein aktuelles Foto von ihr. Jedenfalls war Volker (trotz stapelweiser Bewerbungen) bis heute ohne Job geblieben. Und ohne Frau, Freundin, Tochter. Nur eine alte, struppige Katze teilte das Leben mit ihm. Das einzige Lebewesen, wie er sagte, das ihn aushielt. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und schrieb Kurzgeschichten, die auch gelegentlich gedruckt wurden. Viel Geld brachte das nicht ein, und Volker bemühte sich weiterhin hartnäckig um einen festen Job. Wie mochte es im Rest von Deutschland aussehen, wenn ein vielseitig einsetzbarer Mittvierziger schon in der Vorzeigestadt München keine Arbeit mehr fand? Der sympathische Volker war jedoch ein ebenbürtiger Gegner des Schicksals, der sich trotz mehrerer Boxhiebe unter der Gürtellinie aufrecht im Ring hielt. Glock freute sich darauf, ihn morgen anzurufen. Wegen seines zeitaufwendigen Jobs bei der Schuegraf AG hatte er im letzten Jahr kaum (und damit viel zuwenig) Kontakt zu dem Freund gehabt.
»Und was ist dir über die Leber gelaufen ?« , fragte Barbara, nachdem sie ihre Erfolgserlebnisse mit ihm geteilt hatte. Der Zeitpunkt zur Anwendung situativer Brillanz war gekommen.
»Nun, die Dinge gestalten sich weiterhin sehr schwierig. Du hast ja gestern selbst das alte pornographische Foto gesehen, das man uns geschickt hat. Was soll das? Wer schickt so was? Aber so komische Dinge passieren jetzt laufend. Ich gehe mit wachen Augen durch die Firma und bemerke immer mehr Merkwürdigkeiten, die ich nicht einordnen kann. Akten verschwinden …« Anton erzählte seiner Frau von den Erlebnissen während der ersten zwei Tage in seiner neuen Aufgabe. Das Kapitel mit Renate Polster ließ er unter den Tisch fallen. Anschließend startete die ansonsten so obrigkeitsfeindliche Barbara einen matten Versuch, ihn zum Gespräch mit der Polizei zu bewegen. Glock jedoch hatte sich fest vorgenommen, zuerst Ordnung in seinen Gedanken und bei Schuegraf zu schaffen und dann zur Polizei zu gehen. Vielleicht.
13
Die kleine weiße Kirche lag außerhalb von Grasbach auf einem grünen Hügel. Rund um den kleinen Friedhof zog sich eine weiß gestrichene Backsteinmauer, die an einigen Stellen von Efeu überwachsen war. Am Fuße des Hügels befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem die Autos der Trauergäste kreuz und quer geparkt waren. Auch entlang der ins Dorf führenden Straße standen auf beiden Seiten weitere Fahrzeuge. Die allgemeine Meinung in der Firma war, Röckl habe außerhalb des Jobs ein eher einsames und eintöniges Leben geführt. Die lange Schlange von Menschen, die sich, vom Glockengeläut des Kirchturms angezogen, den gewundenen Pfad vom Parkplatz zum Friedhof hoch bewegte, bezeugte, wie sehr man sich in dem langjährigen Strategiechef getäuscht hatte. Glock konnte sich nicht vorstellen, dass, würde er morgen sterben, zu seiner Beerdigung auch nur halb so viele Leute kommen würden. Rasch ersann er aus dieser Erkenntnis ein neues Gesetz: Was das Leben eines Menschen wirklich wert war, zeigte sich anscheinend erst bei der Beerdigung. Zu spät also. Seitens der Firma, darum hatte die Familie Röckls nachdrücklich gebeten, war nur eine Handvoll Leute erschienen. Heinrich Nagelschneider, als Finanzvorstand der direkte Vorgesetzte, war natürlich gekommen. Ebenso Alois Rauch, der stets
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