Machtrausch
Das Interview führt normalerweise ein Personaler, und hinterher weiß man etwas mehr über die vermeintlichen Beweggründe des Weggangs und kann gegebenenfalls nachsteuern. In diesem Fall waren die Beweggründe sehr unterschiedlich, aber alle, ausnahmslos alle, waren von einer Hamburger Headhunting-Firma gezielt angesprochen worden. Und viele hatten sich gewundert, wie genau der Headhunter über ihre Einkommenssituation, die Familienverhältnisse und ihren exakten Werdegang bei Schuegraf informiert war, noch bevor der Angesprochene diese persönlichen Daten selbst preisgegeben hatte. Plötzlich war klar, was ablief: Ein hoher Angestellter bei Schuegraf mit Zugang zur weltweiten Personaldatenbank verkaufte diese Informationen bedarfsweise an den Headhunter. Dieser suchte zum Beispiel einen Fertigungsleiter mit mindestens zehnjähriger Laufbahn in der diskreten Industrie und China-Erfahrung. Und voilà! Der korrupte Personaler druckte alle zutreffenden Personal-Profile mit sämtlichen wichtigen Daten wie Gehalt, letzte Beförderung etc. aus, so dass der Wettbewerber dem Mann, oder auch der Frau, ein zielgenaues Angebot machen konnte. Perfekt, so etwas! Wir mussten nur noch ermitteln, welche Person auf die Profile all der abgewanderten Mitarbeiter unmittelbar vor der Kündigung zugegriffen hatte. Ein Kinderspiel! Wissen Sie, was das Motiv war ?«
»Kaufsucht? Eine teure Geliebte? Sportwetten?«
»Nein: Langeweile. Nichts sonst. Sie ahnen ja nicht, wie viele Angestellte, auch leitende, sich in ihrem Büro zu Tode langweilen. Der Headhunter bot ihm, neben dem Geld, prickelnde Spannung und das Gefühl, einmal etwas Wichtiges, Gefährliches zu tun. Verstehen Sie ?« Sein Chef verstand das durchaus nicht, wollte jetzt aber in medias res gehen:
»Wer genehmigt es, wenn Ihre Abteilung illegale Hausdurchsuchungen vornimmt, unerlaubt Einsicht in Privatkonten nimmt oder den Mailverkehr von Angestellten mitliest? Wer entscheidet, ob der jeweilige Zweck die Mittel rechtfertigt oder nicht? !«
Sah ihn Fittkau etwas mitleidig an, oder täuschte das? Der ältere Mann streifte erstmals die schon mindestens drei Zentimeter lange Zigarrenasche ab (was für die Zigarre und die noch ruhige Hand Fittkaus sprach) und meinte lakonisch:
»Nagelschneider, Sie und ich. Und bei den handgreiflicheren Mitteln, wenn ich das mal so nennen darf, der gute Schachter-Radig.« Wer auch sonst, dachte sich Glock.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht erst einen Beweis für eine mögliche Schädigung der Schue-graf AG benötigen, um zum Beispiel Büros zu überwachen ?«
»Was soll diese Frage? Es ist doch wohl klar, dass wir routine- und stichprobenmäßig bestimmte Überwachungen an neuralgischen Stellen durchführen, um etwaige Unregelmäßigkeiten überhaupt erst aufzuspüren. Leider melden sich die wenigsten inneren Feinde der Firma freiwillig bei uns …« Jetzt musste Glock weiterfragen, um einige Dinge endlich richtig einordnen zu können.
»Nur mal gesetzt den Fall: Wenn ein x-beliebiges Büro in dieser Firma abgehört wird, steckt dann immer die Abteilung für Innere Angelegenheiten dahinter ?«
»Natürlich. Die Kundenbuchhaltung scheint mir nicht recht zuständig zu sein … Hören Sie, Glock: Die Truppen von Schachter-Radig konzentrieren sich auf die Therapie der Krankheit, nicht die Diagnose. Und die reizende Louise …«, er meinte Louise Frühwein, die Leiterin der Abteilung für Externe Angelegenheiten, »… hat ihren Spielplatz ausschließlich außerhalb des Unternehmens .« Gut, dies war also klar. Glock konnte Fittkau jetzt schlecht fragen, ob er auch das Büro seines alten Chefs Röckl verwanzt hatte und aus welchem Grund. Hatte Röckl bei dem Gespräch in seinem Büro kurz vor dem fingierten Selbstmord also ein Abhören durch seine eigenen Leute befürchtet? Fittkau unterbrach seine Gedanken durch eine Gegenfrage:
»Wie aktiv möchten Sie künftig wirklich in das Tagesgeschäft meiner Abteilung involviert werden? Sie könnten sich eine Menge Arbeit sparen, wenn Sie es wie Röckl hielten. Wenn es etwas Wichtiges geben sollte, komme ich schon auf Sie zu, darauf können Sie sich verlassen .« Der Hund zog an seiner Leine und wollte die Dehnbarkeit prüfen. Einen genüsslichen Zug aus der Zigarre nehmend, ließ sich Glock absichtlich alle Zeit der Welt mit seiner Antwort.
»Wie bereits angekündigt werde ich zukünftig jede Woche mindestens einen halben Tag hier verbringen. Frau Nockele wird Ihnen jeweils rechtzeitig
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