Machtrausch
solange unter Druck setzen, bis ich aussagekräftige Beweise in der Hand habe, und dann damit zur Polizei, Presse oder was weiß ich wohin gehen. Das klappt aber nur, wenn ich bis dahin nicht erpressbar und verletzlich bin. Und dafür musst du eine Weile von der Bildfläche verschwinden … Tut mir Leid, aber ich sehe keine andere Lösung !« Jetzt war es raus. Glock fuhr in die Tiefgarage und Barbara schwieg.
Im Laufe des Abends sah seine Frau ohne große Begeisterung ein, dass Anton seine Untersuchungen nicht fortführen konnte, solange man ihm mit einer möglichen Entführung oder Verletzung von Barbara drohen konnte (Renates bereits ausgesprochene Drohung erwähnte er nicht). So einfach war das: Verweigerte seine Frau die Mithilfe, konnte er gar nichts unternehmen, und die Verbrecher in Anzug und Krawatte kamen ungeschoren davon. Das musste seine Frau widerstrebend zugeben. Sie wollten Volker fragen, ob er sie für ein paar Tage im Laden vertreten könne. Dann überlegten sie, wohin sich Barbara zurückziehen konnte. Als sie gegen Mitternacht ins Bett gingen, war ihnen noch keine überzeugende Lösung eingefallen.
Am Freitagmorgen fuhr Anton Glock ausnahmsweise mit dem Auto zur Arbeit. Außerdem hatte er sich den Tag von Terminen freigehalten. Beide Maßnahmen dienten dazu, ihm alle Freiheiten bei der Umsetzung des gestern in Grundzügen erdachten Planes zu sichern. Als neues Mitglied der Innersten Führungsgruppe von Schue-
graf, kurz IFG genannt, durfte er mit seinem Wagen neuerdings direkt auf das Firmengelände fahren, während die restlichen Angestellten ihre Fahrzeuge auf den Großparkplätzen und den Parkhäusern vor der Firma parken mussten. Wäre Glock nicht in Gedanken mit dem Konkretisieren der nächsten Schritte beschäftigt gewesen, hätte er seine Premiere des selbstbewussten Durchfahrens der Werkstor-Schranke sowie die ehrerbietig grüßende Hand des Pförtners sicherlich sehr genossen. Er parkte den Saab (das Bestellen eines großzügigeren Dienstwagens musste noch etwas warten) unmittelbar vor dem zentralen Hochhaus des Geländes, in dem sich sowohl sein altes Büro als auch die Büros der anderen Stabsabteilungen sowie die Vorstandsfluchten befanden. Glock schaute nach oben und konnte im sechsten Flur das Zimmer ausmachen, aus dem man seinen alten Chef Röckl geworfen hatte. Und das, so fiel ihm blitzartig ein, ja jetzt sein Büro war. Er gab sich einen Ruck, betrat das Gebäude und stieg das selten benutzte Treppenhaus in Richtung des sechsten Stocks nach oben. An beinahe jedem Treppenabsatz standen auf den Fensterbrettern Behältnisse, die den notorischen Rauchern als Aschenbecher dienten. Kaffeetassen mit abgebrochenen Henkeln etwa. Oder leere Cola-Light-Dosen. Zumindest einen Vorteil hatte die ganze Aufregung, dachte Anton, hatte er doch seit Montag kaum eine Zigarette geraucht. Bei diesem Gedanken hielt er am Fensterbrett zwischen dem vierten und fünften Stock an und kramte aus seiner ledernen Aktenmappe ein zerdrücktes Päckchen Camel. Er nahm drei tiefe Züge und beschloss, sich nachher der Reihe nach mit jenen Leuten zu treffen, die er gestern als vertrauenswürdig eingestuft hatte. Was aber, wenn das Büro noch verwanzt war? Oder anders: Was gab ihm Grund zu der Annahme, es könnte nicht mehr verwanzt sein? Das hieß wohl, er musste alle wichtigen Gespräche außerhalb führen und würde während seines Aufenthaltes im eigenen Büro, quasi als schauspielernder Darsteller, sich selbst , den Strategiechef der Firma, nur mimen dürfen. Er stellte sich das anstrengend vor. Nach der Hälfte drückte er die Camel aus und ging weiter nach oben. Als erstes würde er seine Mails kurz durchgehen und die wichtigsten weiterdelegieren. Dann würde er Alois Rauch in seinem alten Büro besuchen und mit ihm einen kleinen Spaziergang über das Firmengelände machen. Alois spielte in seinen Plänen der nächsten Tage eine Schlüsselrolle. Sorgen machte ihm, noch immer keine Idee für Barbaras Fluchtziel zu haben. Vielleicht hatte der phantasievolle Alois eine gute Idee. Den Kopf voller klar definierter Vorhaben für diesen Freitag, durchschritt er sein Sekretariat, begrüßte in gehobener Stimmung Frau Nockele und hatte keine Ahnung, dass alle seine Pläne bereits Makulatur waren. Es würde vollkommen anders kommen.
Sein E-Mail-Programm streikte, so dass er seine Nachrichten nicht abrufen konnte. Frau Nockele versicherte ihm, die Mails gestern Abend zuletzt durchgesehen und die meisten
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