Machtrausch
bereits bearbeitet oder an Mitarbeiter in Glocks Abteilung zur weiteren Verfolgung weitergeleitet zu haben. Das erleichterte Anton, zumal er ohnehin ein eher zwiespältiges Verhältnis zu elektronischer Post hatte. Also ließ er sich in Ruhe einen Kaffee bringen und beauftragte seine Sekretärin, Minor Schachter-Radig im Laufe des Vormittags kommen zu lassen sowie Rauch seinen Besuch im alten Büro, eine Etage tiefer, anzukündigen. Dann ging er mit ihr die Termine der nächsten Woche durch und strich alle Einträge, die nicht wirklich dringend waren – und was war schon wirklich dringend in einer Strategieabteilung? – oder die jemand anderer an seiner Stelle wahrnehmen konnte. Für Montag berief er die geplante Abteilungsversammlung der rund zwölf Mitarbeiter der Strategieabteilung ein. Es wurde Zeit, sich den Leuten vorzustellen. Und für Dienstag hielt er an seiner Wien-Reise zum Österreich-Chef fest. Der opportunistische Johann Kroupa würde sein Nichterscheinen als Zeichen von Schwäche auslegen. Gerade gegenüber seinen firmeninternen Gegnern musste er jetzt Stärke zeigen.
Um kurz nach neun stürzte überraschend Alois Rauch in sein Büro und warf die dünne Tür zum Sekretariat scheppernd hinter sich zu. Er wedelte mit zwei Blatt Papier und knallte sie seinem perplexen Chef wortlos auf den Schreibtisch. An seinem vor Wut und Aufregung leicht geröteten Gesicht (ein ungewohnter Anblick) konnte Anton ablesen, dass es sich um eine ernste Nachricht handeln musste. Er nahm die Blätter, zwei Ausdrucke von E-Mails, zur Hand und las, ohne zunächst zu verstehen, die erste, knappe Mitteilung:
Vorstandsrundschreiben Nr. 15/1005
Die Schuegraf AG befindet sich in einer entscheidenden Phase zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Der Vorstandsvorsitzende, Walter von Weizenbeck, übernimmt persönlich die Koordination aller damit zusammenhängender Programme und Maßnahmen. Aus diesem Grund wird mit sofortiger Wirkung die Zentralabteilung Unternehmensstrategie dem Vorstandsbereich von Walter von Weizenbeck zugeordnet.
Mit freundlichen Grüßen,
Walter von Weizenbeck
Dr. Anton Glock rieb sich die Augen. Seit heute war von Weizenbeck sein Chef. Und er kannte den Mann bisher noch nicht einmal. Das würde sich jetzt rächen. Man hatte Nagelschneider auf Grund des Vertrages mit der Schuegraf-Familie zwar nicht aus dem Vorstand entfernen können, aber man konnte ihm wichtige Aufgabenbereiche entziehen und ihn dadurch schleichend entmündigen. Genau das passierte jetzt.
»Lies die zweite Seite, Anton. Das war noch der harmlosere Teil …« Glock nahm langsam die zweite Mitteilung zur Hand:
Vorstandsrundschreiben Nr. 16/1005
Die Leitung der Zentralabteilung Unternehmensstrategie wird ab sofort von Herrn Peter Lachotta wahrgenommen. Lachotta übernimmt diese Aufgaben zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Leiter der zentralen Marketingabteilung. Der bisherige Leiter der Unternehmensstrategie, Dr. Anton Glock, wird mit neuen Aufgaben betraut.
Mit freundlichen Grüßen,
Walter von Weizenbeck
Wumms. Das war es also dann. Eine verdammt kurze Amtszeit. Game over. Karriere beendet. Niederlage auf ganzer Linie. Fast musste er lachen. Hatte er doch tatsächlich gedacht, er könnte als einsamer Retter, mit etwas Rückendeckung durch den ohnmächtigen Nagelschneider, einer ganzen Verschwörung das Handwerk legen. Dem plötzlich ausbrechenden lauten Schluchzen im Vorzimmer, das man sogar durch die geschlossene Tür gut hören konnte, entnahm er, dass das Mailsystem wieder funktionierte und jetzt auch seine Sekretärin die zwei Rundschreiben kannte. Für die arme Frau Nockele war das der zweite Schlag in einer Woche. Dem Schicksalsboten Alois bedeutete er durch Zeichen, in diesem Büro keine Silbe zu reden und verließ mit ihm gemeinsam sein (neues und wohl schon wieder ehemaliges) Büro. Dann bemühte er sich, im Vorzimmer die schniefende Frau Nockele zu beruhigen und versicherte ihr, für sie werde sich schon alles finden. Selbstverständlich seien erfahrene Sekretärinnen, wie eben sie, bei Schuegraf immer gefragt. Er hatte wohl nicht die richtigen Worte gefunden, denn sie schluchzte noch heftiger auf. Anton und Alois gingen schweigend die Treppen bis hinunter in den Keller, wo sich Papierlagerräume, Heizungsräume, Werkstätten und ein paar alte Stühle im Gang befanden, auf denen die Hausmeister und Lagerarbeiter ihr Pausenbier genossen. Zu dieser Zeit war hier kein Mensch. Sie fanden zwei leere
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