Machtrausch
durch die Entmachtung zur Aufgabe bewegen zu können, so hatte man sich in ihm getäuscht. Eine Stunde später war er ein freier Mann und raste mit dem Auto aus dem Firmengelände. Vorübergehend frei zumindest. Erste Sofortmaßnahme: Er betrat einen der chronisch personell unterbesetzten Shops der Deutschen Telekom und kaufte sich ein zweites Mobiltelefon samt neuer Karte. Er hielt es nämlich durchaus für möglich, nein, sogar für wahrscheinlich, dass sein Firmenhandy ebenfalls abgehört wurde. Bewusst wählte er dasselbe Modell, das er bereits als Firmentelefon besaß, um sich nicht mit einer neuen Menüführung herumschlagen zu müssen. Jetzt hatte er eine neue Mobilnummer, die nur der enge, in Keferloh als vertrauenswürdig eingestufte Personenkreis erhalten würde. Als erstes verschickte Glock mit dem neuen Gerät eine Reihe von Textnachrichten mit dem immer gleichen Wortlaut: › ACHTUNG: Neue, vertrauliche Privat-Nummer. Nicht weitergeben! Gruß, AG‹. Er sandte den Text an die treue Frau Nockele (sie hatte ein privates Handy, kein Firmengerät), Alois Rauch, Nagelschneider, Volker Klausing und Barbara. Einer spontanen Regung nachgehend, sandte er denselben Text noch an Minor Schachter-Radig. Auch in der AfU-Truppe musste es zumindest einen Menschen geben, dem er voll vertrauen konnte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es Schachter-Radig war.
Dann fuhr er in die leere Wohnung nach Hause. Barbara war noch in Neuhausen und regelte im Laden alles für ihre Abwesenheit. Ihr Mann rief von seinem neuen Mobiltelefon aus – er ging extra vor die Tür, weil er nicht einmal sicher war, dass ihre Wohnung nicht verwanzt war – im Reisebüro an und buchte für Barbara einen Flug via Frankfurt nach Dubai nebst Zimmer in einem großen Hotel in der Innenstadt. Noch diesen Nachmittag würde Barbara fliegen. Für sich selbst buchte er den, Hermine Hügel gegenüber erwähnten, Flug nach Rom am Samstagmorgen. Ein Hotelzimmer reservierte er in Rom nicht. Er setzte sich an seinen Computer in der zweiten Etage der Wohnung und druckte das Nacktfoto des Paktes mehrmals in Farbe aus, das man ihm anonym zugeschickt hatte und auf dem Renate in trefflicher Pose zu sehen war. Das Foto erregte ihn leicht. Er hatte das Bild vor ein paar Tagen vorsorglich eingescannt, bevor er die Nacht mit Renate verbrachte. So hatte er gelassen zusehen können, wie sie den vermeintlich einzigen Beweis in kleine Stücke gerissen hatte. Die fertigen Ausdrucke legte er neben sich auf den Tisch. Dazu kam der Drohbrief mit dem Foto von Babettes abgeschnittenem Finger, den er ebenfalls einscannte und mehrfach ausdruckte. Er rief das Word-Programm auf und tippte konzentriert die nächsten zwei Stunden einen ausführlichen Bericht aller seiner bisherigen Erlebnisse und Erkenntnisse. Insbesondere die Gespräche mit Nagelschneider, Renate und seinem ermordeten Chef Röckl schrieb er möglichst wortwörtlich nieder. Nachdem er alles zu Papier gebracht hatte, druckte er den Bericht zweifach aus und steckte jeweils ein Exemplar in einen DIN-A4-Umschlag, zusammen mit je einer der Nacktfoto-Kopien und einer Kopie des Finger-Drohbriefes. Es klingelte und ein Blick aus dem Bürofenster, das auf die Kirchenstraße hinausging zeigte, dass Alois bereits gekommen war. Glock lief die Treppe hinunter und öffnete die Tür.
Der internetversierte Alois Rauch hatte die erste seiner Aufgaben schon erledigt und gab seinem frischen Ex-Chef eine schmale Mappe, in der alles abgeheftet war, was sich über den Unfalltod von Kurt Beckendorf beim Tauchen in Erfahrung bringen ließ. Anton überflog die etwa zwanzig Seiten und sah sofort, dass alle von ihm erhofften Angaben enthalten waren. Hinten in der Mappe befanden sich elf weitere Seiten mit Farbausdrucken von Fotos aus dem Firmen-Intranet von Schuegraf. Es handelte sich um Fotos ausgewählter Schuegraf-Mitarbeiter, die Anton mit auf seine kleine Erkundungsreise nehmen wollte.
»Danke !«
»Keine Ursache. Halt die Ohren steif !« Nach diesem geschwätzigen Männerdialog war Alois wieder verschwunden und Glock begann, seinen Koffer zu packen. Für die in dieser Jahreszeit eher moderaten Temperaturen in Rom nahm er überraschend wenig warme Kleidung mit, dafür um so mehr Polohemden.
Während er den Koffer langsam füllte, dachte er über Alois nach. Zwischen ihnen entwickelte sich eine Art Freundschaft. Unter Männern hieß das: Man verstand sich ohne viele Worte und konnte einander blind vertrauen. Im Jahr 2000 war
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