Machtrausch
Glock in die Strategieabteilung gekommen und Röckl hatte die beiden neuen Kollegen wie folgt miteinander bekannt gemacht:
»Dies ist Dr. Glock, ihr neuer Kollege und Zimmergenosse. Von ihm können Sie viel lernen, Rauch, denn er ist einer der brillantesten jungen Köpfe, die wir bei Schuegraf zurzeit haben. Bitte arbeiten Sie ihn in die Gepflogenheiten und Themen unserer Abteilung so schnell wie möglich ein !« Auf dem Schreibtisch von Alois Rauch lag kein Blatt Papier. War gerade keine Arbeit da? Glocks neuer Kollege nickte wortlos und nagte weiter an einem Apfelbutzen herum, um auch die letzten Stückchen Fruchtfleisch zwischen den Kernen herauszunagen. Sein Chef wandte sich an Anton:
»Lassen Sie sich von Rauchs Fassade nicht täuschen, Glock: Er ist der beste Mann in dieser Abteilung und beherrscht das Handwerkszeug. Ohne ihn würde hier gar nichts laufen. Seine Neandertaler-Verkleidung ist reine Tarnung !« Wie zur Entkräftigung dieser Aussage warf Rauch seinen Apfelbutzen in Richtung des Papierkorbes neben der Tür und verfehlte ihn um einen halben Meter. Dann stand er auf, wischte sich die apfelsaftigen Hände an seiner Jeans ab und begrüßte Anton mit einem irgendwie herzlichen Händedruck. Die nächsten zwei Jahre hatte sich Anton sehr schwer getan, Rauch zu akzeptieren. Der Mann schien nichts, aber auch gar nichts wirklich ernst nehmen zu können. Vor allem die eigene Arbeit in der Strategieabteilung nicht, die Glock doch für das Herz des Schuegraf-Konzerns hielt. Im Laufe der Zeit hatte er in Alois Rauch jedoch einen Mann entdeckt, der sich viele (zu viele?) Gedanken über sich und seine Mitwelt machte, und der seinen ganz eigenen Weg gefunden hatte, um mit der deprimierenden Erkenntnis umzugehen, dass die Welt in keiner Weise so war, wie sie sein sollte, daran aber nichts zu ändern war. Anton Glock hatte mit der Zeit gelernt, seinen Kollegen zumindest als Mensch zu schätzen und sah sogar zunehmend einen Freund in ihm. Dies änderte seiner Meinung nach nichts an der Tatsache, dass die Zeit für Mitarbeiter wie Alois Rauch in der heutigen Leistungsgesellschaft unwiderruflich abgelaufen war. Ihr alter Chef, der große Stücke auf Rauch gehalten hatte, mochte dies anders gesehen haben. Aber auch der gemütliche Röckl als Herbergsvater der Strategieabteilung war ein Auslaufmodell gewesen. Anton war sich nicht sicher, ob er diese Entwicklung gutheißen sollte. Sie bedeutete in jedem Fall Rückenwind für Führungskräfte seines eigenen Schlages.
Er legte sich halb auf den kleinen Koffer, um ihn mühsam zu schließen und kramte dann sein Zweithandy aus der Hosentasche. Seiner Bankfiliale gab er bekannt, in drei Stunden fünfzigtausend Euro in bar abheben zu wollen. In möglichst großen Scheinen. Man verwies ihn auf die Hauptniederlassung der Bank in München, da nur dort kurzfristig so viel Geld zur Verfügung stand. Gegen drei holte er seine Frau mit dem Auto im Laden ab und fuhr auf dem Weg dorthin bei der Bankzentrale am Sendlingertor vorbei, um sich das Geld auszahlen zu lassen. Man hob nicht allzu oft derartig viel Bargeld ab, weshalb die Prozedur fast vierzig Minuten in Anspruch nahm. Er verstaute das gesamte Geld in einem alten Aktenkoffer (der Geldstapel war kleiner, als er ihn sich vorgestellt hatte), dessen Nummernschloss er verriegelte, und verstaute die kleine Kriegskasse im Kofferraum des Saab. Seine Auslagen würde er sich von Schuegraf später zurückholen. Und zwar mit Zins und Zinseszins. Jetzt wurde die Zeit langsam knapp, weshalb er mehrmals bei Dunkelgelb über Ampeln in der Münchner Innenstadt fuhr, bis er bei Barbaras Geschäft in Neuhausen angekommen war. Eine Minute später saß sie neben ihm.
»Wohin fliege ich denn und wann ?« , wollte seine alles andere als begeisterte Frau im Auto wissen.
»Nach Dubai. In zwei Stunden, über Frankfurt.«
»Ah, und warum?«
»Du bleibst dort eine Nacht, und dann fliegst du weiter nach Male und nimmst dir dort ein Zimmer in irgendeinem Hotel nahe am Flughafen. Dort wartest du auf Nachricht von mir .«
»Woher weißt du, wo du mich findest ?«
»Weil du mir den Hotelnamen auf die Mailbox sprechen wirst. Die Mailbox meines neues Mobiltelefons.«
»Warum schicke ich dir keine SMS, ist das nicht sicherer ?«
»Ab Sonntag werde ich mich an einem Ort aufhalten, an dem ich wahrscheinlich keine SMS empfangen kann. Deshalb. Barbara, ich erzähle dir die Details später, okay? !«
»Was ist, wenn man mich wirklich sucht, um dir zu
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