Machtrausch
versucht, sie mit juristischen Schritten kleinzukriegen. Die spektakulärste Aktion fand eines warmen Sommers statt. Barbara und einige ihrer Glaubensgenossen hatten vor McDonalds auf dem zentral gelegenen Münchner Stachus (den die Touristen Karlsplatz nannten) eine Protestaktion gestartet, die an die Performance eines modernen Künstlers erinnerte. McDonalds hatte gerade die Chicken Weeks ausgerufen, und es gab allerlei Hühnergerichte wie Chicken Nuggets und Chicken Burger zum Sonderpreis. Eine willkommene Gelegenheit, um gegen die Käfighaltung von Billighühnern zu protestieren. Zu diesem Zweck hatten Barbara und ihre Freunde Käfige gebaut, in die sich Menschen hineinzwängen konnten. Man hatte in den maßstabsgetreu nachgebauten Behältnissen in etwa so viel Bewegungsspielraum wie ein Huhn in seinem Massenkäfig. Drei solcher Käfige stellte man unmittelbar vor dem Haupteingang des Schnellrestaurants auf. Eines der Mitglieder verkleidete sich als Ronald McDonald, den Werbeclown der Restaurantkette und ließ sich in den engen Käfig einsperren. Nach einer Stunde bekam er die ersten Krämpfe. Er rüttelte permanent an den Stäben und gackerte herzerweichend. Die anderen beiden Käfige waren leer, und Barbara forderte Besucher von McDonalds freundlich auf, sich doch selbst einmal einen Eindruck von dem Leben der Hühner zu verschaffen, die sie gleich zu verspeisen gedachten. Rund um die Käfige herum standen ein paar Schautafeln, auf denen man das Leid der Hühner teils sehr unappetitlich verfolgen konnte. Der hilflose Restaurantmanager hatte in einer kurzen Diskussion mit den Performance-Künstlern keine Chance gehabt und rief die Polizei hinzu. Doch die Aktion war ordnungsgemäß angemeldet. Die Ordnungshüter verlangten allerdings, den Bezug zu McDonalds zu beseitigen, so dass der Clown aus dem Käfig steigen musste. Kurzerhand besorgte sich Barbara einen gelben Bikini im benachbarten Kaufhaus, stieg selbst in den Käfig und rüttelte und kreischte kräftig. Die gesamte Aktion hatte den gut meinenden Aktivisten eine ziemliche Publicity eingebracht, da alle Münchner Blätter ausführlich darüber berichteten. Ein paar Tage später tauchte das Foto des eingesperrten Ronald McDonalds, insbesondere aber das Käfigbild Barbaras im knappen Bikini, auch in der überregionalen Presse auf. Als man den Erfolg gerade feiern wollte, zeigte der McDonalds-Konzern sie an und forderte Schadenersatz wegen entgangenem Umsatz am Aktionstag. Die Sache drohte teuer zu werden, hätte Marvin Ray Miller, ein zerknautschter Anwalt, der im noblen Villenstadtteil Bogenhausen residierte, sie nicht nach allen Regeln der Kunst verteidigt. Seitdem gehörte der Mann zu ihrem weiteren Bekanntenkreis. Marvin würde ihm helfen, auch ohne große Erklärungen. Vor einer grün gestrichenen Gründerzeitvilla am Shakespeare-Platz hielt er und klingelte. Er überreichte dem, entfernt Inspektor Columbo ähnelndem Mann, einen der verschlossenen Umschläge mit dem bisherigen Erkenntnisstand und bat ihn eindringlich:
»Marvin, bitte frag mich lieber nicht, worum es geht, ich kann es dir im Moment nicht sagen. Nur so viel: Ich bin in eine Sache in unserer Firma verwickelt, die nicht sauber ist. Um die Hintermänner aus der Deckung zu locken, muss ich leider gewisse Risiken eingehen. Darum: Sollte ich irgendwie verschwinden oder gar umkommen, mach den Umschlag auf und lies meinen Bericht. Dann mach Kopien, und lass diese allen nur erdenklichen Stellen zukommen. Zeitung, Vorstand, Aufsichtsrat und Betriebsrat der Schuegraf AG, der Staatsanwaltschaft. Lass dir was einfallen, das möglichst viel Wind macht, ja? !« Jeder andere Anwalt hätte jetzt die Augen verdreht, gestöhnt und Anton angefleht, die Finger von der Sache zu lassen, sofort zur Polizei zu gehen, sich in eine Kur einweisen zu lassen usw. usf. Nicht jedoch Marvin:
»Verstanden. Ich weiß zwar nicht, worum es geht, aber ich drücke dir die Daumen !«
»Ach ja, und mein alter Freund Volker wird dir gelegentlich weitere Unterlagen zukommen lassen. Ich werde ihm von unterwegs aus Mails und Briefe schicken, sobald ich neue Erkenntnisse haben werde. Danke, Marvin, du hast einen gut bei mir !«
»Hoffe nur, dass ich dich nicht auf dem Friedhof um meinen Gefallen bitten muss …« Er lachte und gab Anton einen Klaps auf die Schulter. Dieser gab dem Anwalt ebenfalls die Nummer seines Zweit-Mobiltelefones und ging zurück zum Auto. Eine riesige Krähe hatte gerade mitten auf sein Autodach geschissen
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