Machtrausch
Allerdings hatte Glock gehört, man könne auch gelöschte Dateien wieder sichtbar machen. Es war also geschickter, alle wichtigen Dateien von Barbara und ihm auf CD-ROM zu brennen oder auf einem Stick zu speichern – was ihn inklusive Auswahl eine halbe Stunde kostete – und dann die Festplatte zu formatieren. Damit war sie, so hoffte er und irrte sich gewaltig, wieder jungfräulich unberührt. Wieder hellwach, setzte er sich noch zwei Stunden ins Wohnzimmer, um ein paar Französisch-Varianten – seine Lieblings-Schacheröffnung – am Brett nachzuspielen und ein paar interessante neue Verzweigungen zu durchdenken. Gleichzeitig wurde ihm klar, wie er den heutigen Balkon-Besuch zu bewerten hatte: Man wurde langsam nervös. Drei Varianten gab es: Erstens, es handelte sich um Routine und man wollte nach seiner fachgerechten Amtsenthebung sicher gehen, dass er über keinerlei belastende Informationen verfügte. Dazu hatte man die Wohnung durchsuchen und den Computer überprüfen wollen. Zweitens, er hatte Renate unterschätzt (oder eher überschätzt?) und diese hatte den Pakt bereits über seine Pläne informiert. Und drittens: Jemand auf seiner Liste der Vertrauenspersonen stand dort zu Unrecht … Glock erinnerte sich an sein eigenes Gesetz, das vorschrieb: In jeder Lage optimistisch bleiben – aber immer so handeln, dass auch beim Eintreten der schlimmstmöglichen Variante (in der Strategieabteilung nannten sie das den Worst Case) die Lage unter Kontrolle blieb. Angewendet auf die jetzige Situation: Er würde mit niemandem auf der Liste (Barbara ausgenommen) Kontakt aufnehmen, bis er seine Bombe, in Form von unwiderlegbaren Beweisen über das, was da vorging, sicher in den Händen hielt. Die Nacht verbrachte er mit einer Decke auf dem antiken Sofa im Wohnzimmer, um im Falle eines erneuten Besuches gewappnet zu sein. Neben ihm eine Taschenlampe und sein Tennisschläger als Waffe. Er musste lachen. Die Situation erinnerte bei aller Dramatik an eine der selbstironischen Magnum-Folgen aus den achtziger Jahren.
15
Sobald Anton Glock auf dem herrlich chaotischen Flughafen in Rom gelandet war, begab er sich zu einem der zahlreichen Reisebüros im Abflugterminal. Bei einer gebrochen Englisch sprechenden, italienischen Matrone erkundigte er sich nach den nächsten Flügen nach Male, der Hauptstadt des Inselstaates der Malediven. Er hatte Pech. Der nächste Non-Stopp-Flug mit freien Plätzen ging erst in ein paar Tagen. Die Alternative sei ein Flug über Istanbul und Dubai mit zweimaligem Umsteigen. Und er müsse erster Klasse buchen, da nur hier noch ein Platz frei sei. Da Glock keine Zeit zu verlieren hatte, buchte er den teuren Flug und bezahlte bar. Einen kleinen Teil seiner riesigen Bargeldsumme hatte er aus der Aktentasche in seinen Geldbeutel gepackt. Die Matrone nahm die großen Geldscheine zögernd entgegen und musterte ihn und seinen Reisepass misstrauisch von oben bis unten. Er sah nicht so aus, wie sie sich einen Mafia-Boss vorstellte. Dennoch verschwand sie mit den Scheinen hinten im Büro und kam erst nach fünf Minuten zurück. Sie händigte ihm die Tickets aus und wünschte ihm eine gute Reise. Noch drei Stunden würde er auf dem Flughafen verbringen müssen. Müde war er. Die letzte Nacht hatte er auf dem herrlich alten aber unbequemen Sofa in seinem Wohnzimmer kaum ein Auge zugetan. Auch vermeinte er, alle paar Minuten Geräusche zu hören. Den Samstag hatte er damit verbracht, wieder und immer wieder seine eigene Schilderung der Ereignisse durchzulesen und nach möglichen Verbindungen zu suchen. Irgendetwas an Röckls Tod störte ihn. Da war etwas an seinem Besuch in Röckls Büro kurz vor dem fingiertem Selbstmord, das ihm wichtig und greifbar schien, ohne sich zu einem klaren Bild zu fügen. Dann hatte er versucht, auf dem Nacktfoto mit der Lupe Renates nackte Pakt-Freunde zu erkennen. Erfolglos.
Renate hatte Samstag sein Ultimatum von Freitag-abend ignoriert und ihn nicht angerufen. Lediglich eine SMS war mittags gekommen: »Brauche mehr Zeit, mich abzusichern .« Was immer das hieß. Er hatte vergebens versucht, sie zu erreichen, zuletzt vom Münchner Flughafen aus. Ihre Kurznachricht konnte bedeuten, dass sie seine Forderung nicht grundsätzlich ablehnte, aber persönliche Absicherungsmaßnahmen treffen musste. Oder sie wollte Zeit gewinnen und sich mit dem restlichen Pakt beraten. Das würde ihr ähnlich sehen. Seine Drohung gegenüber der gerissenen Renate, nach Ablauf des Ultimatums an die
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