Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Armen, weinte.
»Leb wohl! … leb wohl! … Wann seh ich dich wieder?«
Sie kehrten um und küssten sich aufs neue; da versprach sie ihm, bald, auf welchem Wege immer, einen Anlass zu finden, damit sie einander regelmäßig, in aller Freiheit sehen konnten, wenigstens einmal die Woche. Emma war ihrer Sache ganz sicher. Auch sonst hatte sie Hoffnung. Demnächst käme sie zu Geld.
Darum kaufte sie für ihr Zimmer ein Paar breitgestreifter gelber Vorhänge, die Monsieur Lheureux als preiswert gerühmt hatte; sie träumte von einem Teppich, und Lheureux, versichernd, »der koste schon nicht die Welt«, erbot sich höflichst, ihr einen zu besorgen. Sie konnte auf seine Dienste nicht mehr verzichten. Zwanzigmal am Tag schickte sie nach ihm, und er ließ augenblicklich alles stehen und liegen, ohne das kleinste Murren. Und niemand verstand auch so recht, warum Mutter Rolet täglich bei ihr zu Mittag aß und sie sogar unter vier Augen sah.
Etwa um diese Zeit, also gegen Winteranfang, packte sie eine große musikalische Leidenschaft.
Eines Abends, als Charles ihr zuhörte, begann sie viermal hintereinander dasselbe Stück, ärgerte sich immer wieder, während er keinen Unterschied merkte und rief:
»Bravo! … Sehr gut! … Du hast unrecht! mach weiter!«
»Nein, nein! ich spiele jämmerlich! meine Finger sind eingerostet.«
Am nächsten Tag bat er sie, wieder etwas zu spielen .
»Meinetwegen, wenn es dir Freude macht!«
Und Charles musste zugeben, sie war ein bisschen aus der Übung. Sie griff daneben, patzte; dann, mittendrin abbrechend:
»Ach! aus und vorbei! ich müsste Unterricht nehmen; aber …«
Sie biss sich auf die Lippen und sagte dann:
»Zwanzig Franc die Stunde, das ist zu teuer!«
»Ja, sicher …, allerdings …«, erwiderte Charles und grinste täppisch. »Mir scheint aber, man könnte vielleicht für weniger …; es gibt doch Künstler ohne großen Namen, die oft besser sind als die Berühmtheiten.«
»Such mir einen«, sagte Emma.
Am nächsten Tag, als er nach Hause kam, betrachtete er sie mit bauernschlauer Miene und konnte sich zuletzt den Satz nicht verkneifen:
»Was du dir nicht manchmal in den Kopf setzt! Ich bin heute in Barfeuchères gewesen. Na, und Madame Liégeard hat mir versichert, dass ihre drei Töchter, die in La Miséricorde sind, Stunden für fünfzig Sou nehmen, noch dazu bei einer bekannten Lehrerin!«
Sie zuckte die Schultern und rührte ihr Instrument nicht mehr an.
Doch wenn sie an ihm vorüberging (und Bovary in der Nähe war), seufzte sie:
»Ach! mein armes Klavier!«
Und sooft jemand zu Besuch kam, erzählte sie unweigerlich, sie habe das Musizieren aufgegeben und könne jetzt, aus zwingenden Gründen, nicht wieder damit anfangen. Dann bedauerte man sie. Wie schade! sie war doch so talentiert! Bovary wurde gar darauf angesprochen. Man machte ihm Vorhaltungen, vor allem der Apotheker:
»Sie begehen einen Fehler! die Gaben der Natur darf man niemals brachliegen lassen. Und außerdem, bedenken Sie, mein guter Freund, wenn Sie Madame zum Üben ermutigen, werden Sie dereinst bei der musikalischen Erziehung Ihres Kindes sparen! Ich bin der Meinung, Mütter sollen ihre Kinder selbst unterrichten. Das ist ein Gedanke von Rousseau, vielleicht noch ein wenig neumodisch, doch er wird sich am Ende durchsetzen, das weiß ich bestimmt, so wie das Stillen durch die Mutter und das Impfen.«
Charles kam also noch einmal auf die Klavierfrage zu sprechen. Emma antwortete bissig, man täte wohl besser daran, es zu verkaufen. Dieses arme Klavier, das ihm so viel eitle Genugtuung verschafft hatte, wegzugeben bedeutete für Bovary gewissermaßen den unbegreiflichen Selbstmord eines Stücks von ihr selbst!
»Wenn du möchtest …«, sagte er, »hin und wieder eine Stunde, das würde uns ja nicht völlig ruinieren.«
»Stunden sind aber nur von Nutzen«, erwiderte sie, »wenn man sie regelmäßig nimmt.«
So stellte sie es an, von ihrem Gatten die Erlaubnis zu bekommen, dass sie einmal pro Woche in die Stadt fuhr und ihren Liebhaber sah. Man fand sogar schon nach einem Monat, sie mache beachtliche Fortschritte.
Anmerkungen
V.
Es war Donnerstag. Sie stand auf und kleidete sich leise an, um Charles nicht zu wecken, denn er hätte ihr gesagt, es sei doch wieder viel zu früh. Dann ging sie hin und her; sie stellte sich ans Fenster, sie schaute hinunter auf den Platz. Der erste Dämmerschein sickerte zwischen die Pfeiler der Markthalle, und am Apothekerhaus, dessen Fensterläden
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