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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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geschlossen waren, schimmerten im blassen Morgenrot schon die großen Buchstaben des Ladenschilds.
    Wenn die Zeiger der Uhr auf Viertel nach sieben standen, lief sie hinüber zum Lion d’or , wo Artémise ihr gähnend die Tür öffnen kam. Für Madame schaufelte sie aus der Asche die zugedeckte Glut. Emma blieb allein in der Küche. Von Zeit zu Zeit ging sie hinaus. Hivert war gemächlich beim Anspannen und lauschte zudem Mutter Lefrançois, die ihren Kopf unterm baumwollenen Häubchen durch ein Guckfenster streckte, ihm Aufträge gab und Anweisungen erteilte, die jeden andern um den Verstand gebracht hätten. Emma stampfte ungeduldig mit ihren Stiefelchen auf dem Hofpflaster.
    Endlich hatte er seine Suppe gegessen, seinen Mantel angelegt, seine Pfeife entzündet, seine Peitsche gepackt und kletterte nun in aller Ruhe auf den Kutschbock.
    Die Hirondelle setzte sich in leichten Trab und hielt auf der ersten Dreiviertelmeile da und dort, um Reisende aufzunehmen, die am Wegrand, vor den Hofgattern stehend, nach ihr ausspähten. Wer am Vortag reserviert hatte, ließ auf sich warten; manch einer lag sogar noch zu Hause im Bett; Hivert rief, schrie, fluchte, dann stieg er vom Kutschbock und schlug kräftig gegen die Tür. Der Wind pfiff durch die gesprungenen Klappfenster.
    Mittlerweile füllten sich die vier Sitzbänke, der Wagen rollte, die Apfelbäume zogen in Reih und Glied vorüber; und die Landstraße, zwischen ihren zwei langen Gräben voll gelbem Wasser, lief immer schmaler werdend zum Horizont.
    Emma kannte sie von Anfang bis Ende; sie wusste, nach einer Weide kam ein Pfosten, dann eine Ulme, eine Scheune oder ein Straßenwärterhüttchen; manchmal wollte sie sich eine Überraschung gönnen und schloss die Augen. Doch niemals verlor sie das klare Gefühl für die noch vor ihr liegende Strecke.
    Endlich rückten die Backsteinhäuser näher, der Boden dröhnte unter den Rädern, die Hirondelle glitt zwischen Gärten dahin, durch die Lattenzäune sah man Statuen, einen Hügel mit Weinlaube, gestutzte Eiben und eine Schaukel. Dann, mit einem Schlag, erschien die Stadt.
    Amphitheatralisch abfallend und in Nebel gehüllt, wucherte sie jenseits der Brücken weiter, im Verschwommenen. Dahinter kletterte mit steter Eintönigkeit das offene Land höher und höher, berührte schließlich in der Ferne die ungewisse Grundlinie des fahlen Himmels. So, von oben gesehen, wirkte die ganze Landschaft reglos wie ein Gemälde; die vor Anker liegenden Schiffe drängten sich in einer Ecke; der Fluss schlang seinen Bogen um den Fuß der grünen Hügel, und die langgestreckten Inseln glichen großen schwarzen Fischen, die auf dem Wasser dümpelten. Aus den Fabrikschloten quollen riesige braune Fahnen, deren Enden fortflatterten. Man hörte das Gebrumm der Schmelzhütten, vermischt mit dem hellen Glockenspiel der Kirchen, die im Dunst aufragten. Die kahlen Bäume entlang der Boulevards bildeten veilchenblaues Gestrüpp zwischen den Häusern, und die regenglänzenden Dächer spiegelten unregelmäßig, je nach Höhe des Viertels. Mitunter fegte ein Windstoß die Wolken zur Anhöhe Sainte-Catherine, Luftwellen gleich, die sich lautlos an einer Klippe brachen.
    Etwas Schwindelerregendes entströmte für sie diesen zusammengeballten Leben, und ihr Herz saugte sich gierig voll, als hätten ihr die hundertzwanzigtausend Seelen, die hier zuckten, alle auf einmal die Leidenschaften eingehaucht, die sie bei ihnen vermutete. Ihre Liebe wuchs angesichts des weiten Raums und geriet in Aufruhr durch das wirre Tosen, das heraufdrang. Sie goss diese Liebe wieder aus sich hinaus, auf die Plätze, auf die Promenaden, auf die Gassen, und die alte normannische Stadt erstreckte sich vor ihren Augen wie eine unermessliche Metropole, wie ein Babylon, in das sie einzog. Sie lehnte sich mit beiden Händen aus dem Klappfenster, den Lufthauch tief einatmend; die drei Pferde galoppierten, die Steine knirschten im Schlamm, der Postwagen schaukelte, und Hivert schickte den Karriolen auf der Landstraße schon von weitem einen Warnruf entgegen, während die Bürger, die eine Nacht in Bois-Guillaume verbracht hatten, den Hang in ihrem kleinen Familiengespann gemächlich hinabfuhren.
    An der Zollschranke wurde haltgemacht; Emma löste ihre Überschuhe, wechselte die Handschühchen, zupfte an ihrem Shawl, und zwanzig Schritt weiter stieg sie aus der Hirondelle .
    Die Stadt erwachte. Ladengehilfen mit griechischen Mützen putzten die Schaufenster der Geschäfte, und

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