Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
das alles nie bewundert, als sei die Natur zuvor nicht dagewesen oder erst schön geworden, seit ihre Begierde gestillt war.
Mit Anbruch der Nacht kehrten sie heim. Das Boot folgte dem Ufer der Inseln. Sie saßen ganz hinten, verborgen im Dunkel, ohne zu reden. Die langen viereckigen Ruder knackten zwischen den eisernen Dollen; und das tickte in der Stille wie ein taktschlagendes Metronom, während am Heck der nachschleifende Stopper sanft im Wasser gluckste.
Einmal zeigte sich der Mond; da versäumten sie nicht, große Worte zu machen, fanden das Gestirn melancholisch und voller Poesie; sie begann sogar zu singen:
Denkst du des Abends noch?
Der Kahn, in dem wir ruhten etc.
Ihre wohlklingende, leise Stimme verlor sich über den Fluten; und der Wind verwehte die Triller, denen Léon nachlauschte wie flüchtigem Flügelschlag.
Sie lehnte ihm gegenüber an der Wand der Schaluppe, wo durch einen geöffneten Laden der Mond hereinglänzte. Ihr schwarzes Kleid, dessen Falten sich fächerförmig ausbreiteten, machte sie schlanker und größer. Sie hielt den Kopf hoch erhoben, die Hände gefaltet und blickte gen Himmel. Zuweilen verschwand sie vollkommen im Schatten der Weiden, dann tauchte sie plötzlich im Mondlicht hervor wie eine Erscheinung.
Léon, nah bei ihr, am Boden, bekam unversehens ein knallrotes Seidenband zwischen die Finger.
Der Schiffer betrachtete es und sagte schließlich:
»Ach! das stammt vielleicht von einer Gesellschaft, die hab ich neulich spazierengefahren. Ein Haufen Spaßvögel, Herren und Damen, mit Kuchen, Champagner, Kornetten, dem ganzen Trallala! Einer vor allem, ein Großer, Stattlicher mit Schnurrbärtchen, der war besonders witzig! die andern sagten: Los, erzähl uns was …, Adolphe …, Dodolphe …, glaub ich.«
Sie schauderte.
»Ist dir unwohl?« fragte Léon näher rückend.
»Oh, nein! mir fehlt nichts. Nur die Nacht wird kühl.«
»Und dem mangelt’s wohl auch nicht an Frauen«, setzte der alte Matrose freundlich hinzu, denn er wollte dem Fremden schmeicheln.
Dann spuckte er in die Hände und griff wieder nach seinen Rudern.
Schließlich mussten sie doch auseinandergehen! Der Abschied war trist. Seine Briefe sollte er an Mutter Rolet schicken; und sie gab ihm so genaue Ratschläge wegen des doppelten Umschlags, dass er tiefe Bewunderung empfand für ihre Liebeslist.
»Du versicherst mir also, dass alles seine Ordnung hat?« fragte sie beim letzten Kuss.
»Ja, gewiss!« – »Warum nur«, dachte er später, als er allein durch die Straßen heimspazierte, »liegt ihr so viel an dieser Vollmacht?«
Anmerkungen
IV.
Léon gab vor seinen Kameraden bald den Überlegenen, mied ihre Gesellschaft und vernachlässigte vollkommen seine Akten.
Er wartete auf Briefe von ihr; er las sie immer wieder. Er schrieb ihr. Er dachte an sie mit der ganzen Kraft seines Begehrens und seiner Erinnerungen. Anstatt kleiner zu werden durch die Entfernung, wuchs das Verlangen, sie wiederzusehen, sodass er an einem Samstagmorgen der Kanzlei entfloh.
Als er von der Anhöhe unten im Tal den Kirchturm gewahrte, mit seiner blechernen Wetterfahne, die sich im Winde drehte, überkam ihn jenes Wonnegefühl aus frohlockendem Stolz und eigensüchtiger Rührung, das wohl Millionäre verspüren, besuchen sie nach langer Zeit noch einmal ihr Dorf.
Er streunte um ihr Haus. Licht schimmerte in der Küche. Er lauerte auf ihren Schatten hinter dem Vorhang. Nichts war zu sehen.
Mutter Lefrançois machte ein lautes Freudengeschrei, als sie ihn erblickte, und sie fand ihn jetzt »größer und schlanker«, Artémise hingegen fand ihn »kräftiger und gebräunter«.
Er aß im kleinen Saal, wie früher, jedoch allein, ohne den Steuereinnehmer; denn Binet, überdrüssig , auf die Hirondelle zu warten, hatte seine Mahlzeit endgültig um eine Stunde vorverlegt und aß jetzt Punkt fünf, freilich behauptete er meistens, die alte Büchse gehe nach .
Léon gab sich einen Ruck; er ging und klopfte an die Tür des Arztes. Madame war in ihrem Zimmer, erst eine Viertelstunde später kam sie herunter. Monsieur schien hocherfreut über das Wiedersehen; doch er rührte sich den ganzen Abend nicht von der Stelle, und genausowenig am nächsten Tag.
Er sah sie allein, spätabends, hinter dem Garten, im Gässchen; – im Gässchen, wie mit dem andern! Es stürmte, und sie plauderten unter einem Regenschirm, im Licht der Blitze.
Die Trennung war unerträglich.
»Lieber sterben!« sagte Emma.
Sie wand sich in seinen
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