Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
mich an! Deinen Augen entströmt etwas ungeheuer Sanftes, das tut mir so wohl!«
Sie nannte ihn Kind:
»Kind, liebst du mich?«
Und die Antwort hörte sie nicht, allzu hastig suchten seine Lippen nach ihrem Mund.
Auf der Pendeluhr saß ein kleiner bronzener Cupido, der, seine Ärmchen rundend, unter einer goldenen Girlande herumkokettierte. Sie lachten oft über ihn; doch ging es ans Abschiednehmen, wurde ihnen alles ernst.
Reglos standen sie voreinander und sagten immer wieder:
»Bis Donnerstag! … bis Donnerstag!«
Plötzlich griff sie mit beiden Händen nach seinem Kopf, küsste ihn schnell auf die Stirn, rief: »Leb wohl!« und stürmte die Treppe hinab.
Sie ging in die Rue de la Comédie, zu einem Friseur, um sich ihr Haar richten zu lassen. Die Nacht brach herein; im Laden wurde das Gaslicht entzündet.
Sie hörte das Theaterglöckchen, das die Komödianten zur Vorstellung rief; und sie sah, gegenüber, Männer mit weißen Gesichtern und Frauen in verwelkten Toiletten durch den Bühneneingang verschwinden.
Es war heiß in dem kleinen, niedrigen Raum, wo zwischen Perücken und Pomaden der Ofen bullerte. Der Brennscherengeruch, mitsamt den fettigen Händen, die ihren Kopf kneteten, machte sie rasch benommen, und so dämmerte sie ein wenig unter ihrem Frisiermantel. Häufig offerierte der Gehilfe, der sie kämmte, Karten für den Maskenball.
Dann marschierte sie los! Sie ging die Straßen wieder zurück; sie kam zur Croix rouge ; sie holte ihre Überschuhe hervor, die sie am Morgen unter einer Sitzbank versteckt hatte, und sie zwängte sich auf ihren Platz, zwischen die ungeduldigen Reisenden. Einige stiegen am Fuß der Anhöhe aus. Sie blieb allein im Wagen.
Mit jeder Wegbiegung konnte man die Lichter der Stadt besser sehen, ihren weiten funkelnden Schleier über dem Häusermeer. Emma kniete sich auf die Polster, und ihr Blick verschwamm in diesem Gleißen. Sie schluchzte, rief Léon und schenkte ihm zärtliche Worte und Küsse, die im Winde verwehten.
Auf der Anhöhe gab es einen armen Teufel, der sich mit seinem Stock zwischen den Postwagen herumtrieb. Ein Haufen Lumpen bedeckte seine Schultern, und ein alter schäbiger Biberfellhut, rund wie eine Schüssel, verbarg das Gesicht; doch wenn er ihn abnahm, entblößte er anstelle der Lider zwei klaffende blutige Höhlen. Das Fleisch franste in roten Fetzen; und Flüssigkeiten sickerten heraus, die als geronnene grüne Krätze bis zur Nase reichten, und die schwarzen Löcher schnieften krampfhaft. Wenn er jemanden ansprach, warf er den Kopf mit blödem Gelächter in den Nacken; – dann rollten seine bläulichen Augäpfel beständig hin und her, stießen bei den Schläfen gegen den Rand der offenen Wunde.
Er sang ein kleines Lied, während er hinter den Kutschen herlief:
Wenn erst die heißen Tage kommen,
träumt manche Maid von Liebeswonnen.
Und alles Weitere erzählte von Vögeln, Sonne und Blättern.
Manchmal tauchte er jäh hinter Emma auf, barhäuptig. Mit einem Schrei zuckte sie zurück. Hivert trieb mit ihm Schabernack. Er riet ihm, sich am Romanus-Markt in eine Schaubude zu stellen, oder fragte lachend, wie es seiner Liebsten gehe.
Oft war man in voller Fahrt, wenn unversehens sein Hut durchs Klappfenster in den Postwagen hereinschoss, während er sich mit dem anderen Arm auf dem Trittbrett festklammerte, zwischen den kotspritzenden Rädern. Seine Stimme, anfangs schwach und wimmernd, wurde schrill. Sie gellte durch die Nacht wie das unbestimmte Wehklagen einer dunklen Verzweiflung; und durch das Gebimmel der Schellen, das Gesäusel der Bäume und das Gedröhn des hohlen Kastens bekam sie etwas Fernes, das Emma verstörte. Es drang tief hinab in ihre Seele, wie ein Wirbelwind in einen Abgrund, und trug sie fort zu den Weiten grenzenloser Melancholie. Doch Hivert, der den Ballast rasch bemerkte, verpasste dem Blinden mächtige Hiebe mit der Peitsche. Die Schnur traf seine Wunden, und er stürzte in den Schlamm, mit lautem Geheul.
Dann schliefen in der Hirondelle die Reisenden allmählich, manche mit offenem Mund, andere mit hängendem Kinn, an die Schulter ihres Nachbarn gesunken oder den Arm im Halteriemen, gleichmäßig hin und her pendelnd im Geruckel des Wagens; und der Widerschein der Laterne, die draußen über den Kruppen der Zugpferde schaukelte, fiel durch schokoladebraune Kalikovorhänge und warf blutige Schatten auf all die reglosen Gestalten. Emma, trunken vor Traurigkeit, fror unter ihren Kleidern und fühlte sich,
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