Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
aufgestanden war und beim Bartschaben nichts gesehen hatte, trug Schmarren schräg unter der Nase oder abgeschrammte Stellen an den Kinnbacken, groß wie Drei-Franc-Stücke, und diese hatten sich unterwegs an der frischen Luft entzündet und zierten nun mit rosa Flecken all diese dicken, weißen, strahlenden Gesichter.
Das Rathaus lag eine halbe Meile vom Hof, darum ging man zu Fuß und kehrte nach der kirchlichen Trauung auf die gleiche Weise heim. Der Festzug, anfangs geschlossen wie eine einzige bunte Schärpe, die in der Landschaft wehte, auf dem schmalen, sich zwischen grüner Saat dahinschlängelnden Pfad, wurde bald immer länger und zerfiel in verschiedene Gruppen, die plaudernd zurückblieben. Der Dorfmusikant marschierte vorneweg mit seiner Geige, deren Schnecke Bänder schmückten; dann kamen das Brautpaar, die Verwandten, die Freunde, wie es der Zufall wollte, und die Kinder trödelten hinterher und hatten ihren Spaß daran, die Glöckchen der Haferrispen abzureißen oder unbeobachtet miteinander herumzutollen. Emmas Kleid war zu lang und schleifte ein wenig nach; hin und wieder blieb sie stehen, um es anzuheben, und dann zupfte sie vorsichtig mit ihren behandschuhten Fingern die harten Gräser ab und die kleinen Stacheln der Disteln, während Charles mit leeren Händen wartete, bis sie fertig war. Vater Rouault, auf dem Kopf einen neuen Seidenhut und am schwarzen Frack Aufschläge, die seine Hände bis zu den Fingernägeln bedeckten, führte die alte Madame Bovary am Arm. Und Monsieur Bovary senior, der all diese Menschen im Grunde verachtete und darum lediglich in einem einreihigen Gehrock mit militärischem Schnitt gekommen war, bedachte eine junge blonde Bäuerin mit Kneipenschmeicheleien. Sie verbeugte sich, errötete, wusste nicht, was sie erwidern sollte. Die anderen Hochzeitsgäste redeten über ihre Geschäfte oder trieben hinterrücks Schabernack und brachten sich frühzeitig in Stimmung; und wenn man die Ohren spitzte, hörte man noch das Gefiedel des Dorfmusikanten, der auf freiem Feld immerzu spielte. Wenn er merkte, dass alle weit hinter ihm waren, blieb er stehen und verschnaufte, wachste seinen Bogen sorgfältig mit Kolophonium, damit die Saiten lauter kreischten, und dann setzte er sich wieder in Bewegung, hob und senkte abwechselnd den Hals seiner Geige, um sich selber den Takt zu schlagen. Das Gezeter des Instruments vertrieb schon von weitem die Vögelein.
Unter dem Dach des Wagenschuppens war die Tafel gedeckt. Darauf vier Rinderlenden, sechs Hühnerfrikassees, Kalbsgeschmortes, drei Lammkeulen und in der Mitte ein hübsches gebratenes Spanferkel, flankiert von vier Andouilles mit Sauerampfer. An den Ecken stand Schnaps in Karaffen. Der süße Cidre in Flaschen trieb rund um die Korken seinen zähen Schaum heraus, und schon vorher waren alle Gläser mit Wein gefüllt worden, bis an den Rand. Große Schüsseln mit gelber Crème, die beim kleinsten Ruck gegen den Tisch von ganz alleine wogte, trugen, auf die glatte Oberfläche gestreut, die Initialen der Frischvermählten in Nonpareille-Schnörkeln. Für Kuchen und Nougats hatte man einen Konditor aus Yvetot kommen lassen. Da er ein Neuling war in der Gegend, hatte er sich Mühe gegeben; und zum Nachtisch brachte er persönlich eine mehrstöckige Torte, die Jubelgeschrei auslöste. Den Unterbau bildete ein Viereck aus blauer Pappe, das einen Tempel darstellte mit Portiken, Kolonnaden und Statuetten aus Stuck ringsherum, in Nischen, übersät mit Sternen aus Goldpapier; auf der zweiten Etage stand ein Bergfried aus Biskuit, umgeben von winzigen Befestigungsanlagen aus kandierter Engelwurz, Mandeln, Rosinen, Orangenscheiben; und auf der obersten Fläche schließlich, einer grünen Wiese, wo es Felsen gab mit Marmeladeseen und Schiffen aus Haselnussschalen, war ein kleiner Liebesgott zu sehen, der sich auf einer Schokoladenschaukel wiegte, und ihre beiden Säulen endeten in zwei echten Rosenknospen, anstelle von Bällchen, an der Spitze.
Man aß bis zum Abend. Wenn man vom Sitzen müde war, ging man zum Spazieren hinaus auf die Höfe oder in die Scheune, eine Partie Bouchon spielen; dann kehrte man zurück an die Tafel. Gegen Ende schlief der eine oder andere ein und schnarchte. Beim Kaffee jedoch kamen alle wieder zu sich; nun wurden Lieder angestimmt, Kraftproben gemacht, man stemmte Gewichte, ging unter dem Daumen hindurch, suchte Karren auf den Schultern hochzuheben, machte derbe Witzchen, küsste die Damen. Am Abend, beim Aufbruch,
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