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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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größer, vor allem, wenn sie beim Erwachen die Lider mehrmals auf- und niederschlug; schwarz im Schatten und dunkelblau im strahlenden Licht, besaßen sie etwas wie übereinanderliegende Farbschichten, die auf dem Grund finsterer waren und zur schimmernden Oberfläche hin immer klarer. Sein Auge verlor sich in diesen Tiefen, und er sah darin sein winziges Bild, bis zu den Schultern, mit dem Tuch um den Kopf und dem halboffenen Hemd. Er stand auf. Sie trat ans Fenster, um ihn fortreiten zu sehen; und hier verharrte sie, aufgestützt zwischen zwei Geranientöpfen, gehüllt in ihren Morgenrock, der lose um sie herabfiel. Auf der Straße schnallte Charles am Eckstein seine Sporen fest; und sie redete von oben herab weiter mit ihm, zupfte dabei mit dem Mund ein Stückchen Blüte oder Grünes, blies es hinab, sodass es in der Luft tanzte, schwebte, Halbkreise beschrieb wie ein Vogel und sich, bevor es zu Boden fiel, in der ungekämmten Mähne der alten weißen Stute verfing, die reglos vor der Tür wartete. Wenn Charles auf dem Pferd saß, warf er ihr eine Kusshand zu; sie winkte zurück, sie schloss das Fenster, er ritt fort. Und dann, auf der Landstraße, die ihr langes staubiges Band endlos ausrollte, in Hohlwegen, über denen sich die Bäume zu einer Laube wölbten, auf Pfaden, wo das Korn ihm bis an die Knie reichte, die Sonne auf den Schultern und die Morgenluft in der Nase, das Herz erfüllt von den Seligkeiten der Nacht, das Gemüt ruhig, das Fleisch zufrieden, trabte er dahin, grübelnd über sein Glück wie einer, der nach dem Essen herumkaut auf dem Geschmack der Trüffel, die er verdaut.
    Was hatte er bisher schon Gutes gehabt im Leben? Seine Zeit im Collège, wo er eingeschlossen war zwischen den hohen Mauern, allein unter seinen Kameraden, die reicher oder im Unterricht besser waren als er, die ihn wegen seiner Aussprache verlachten, die über seine Kleider spotteten und deren Mütter mit Kuchen im Muff ins Besuchszimmer kamen? Oder später, als er Medizin studierte und nie Geld genug im Beutel hatte, um irgendeine kleine Arbeiterin zum Kontertanz einzuladen, die seine Liebste geworden wäre? Danach hatte er vierzehn Monate mit der Witwe gelebt, deren Füße im Bett kalt waren wie Eis. Doch jetzt besaß er fürs ganze Leben diese hübsche Frau, die er anbetete. Die Welt war nicht größer für ihn als der seidige Kreis ihres Unterrocks; und er machte sich Vorwürfe, sie nicht zu lieben, er wollte sie wiedersehen; schnell kehrte er heim, lief die Treppe hinauf, pochenden Herzens. Emma war in ihrem Zimmer beim Ankleiden; auf leisen Sohlen trat er näher, küsste sie auf den Rücken, ihr entfuhr ein Schrei.
    Er konnte nicht anders, ständig berührte er ihren Kamm, ihre Ringe, ihr Fichu; manchmal drückte er ihr dicke Küsse schmatzend auf die Wangen, oder er bedeckte mit kleinen Küssen endlos ihren ganzen nackten Arm, von den Fingerspitzen bis zur Schulter; und sie stieß ihn zurück, halb freundlich, halb verstimmt, wie man ein Kind behandelt, das am Rockzipfel hängt.
    Vor der Heirat hatte sie geglaubt, Liebe zu empfinden; weil jedoch das Glück, das aus dieser Liebe hätte folgen sollen, nicht kam, musste sie sich wohl getäuscht haben, dachte sie. Und Emma suchte herauszufinden, was man im Leben eigentlich verstand unter den Worten Seligkeit , Leidenschaft und Rausch , die ihr so schön erschienen waren in den Büchern.

    Anmerkungen

VI.

    Sie hatte Paul und Virginie gelesen, und sie hatte geträumt von dem Bambushäuschen, dem Neger Domingo, dem Hund Fidèle, vor allem aber von der süßen Freundschaft eines liebevollen kleinen Bruders, der einem Beeren holt von großen Bäumen, höher als Kirchtürme, oder barfuß über den Sand läuft und ein Vogelnest herbeiträgt.
    Als sie dreizehn wurde, brachte ihr Vater sie persönlich in die Stadt, um sie in die Klosterschule zu geben. Sie logierten in einem Gasthof im Viertel Saint-Gervais, aßen beim Souper von bemalten Tellern, auf denen die Geschichte der Mademoiselle de La Vallière dargestellt war. Die erläuternden Bildunterschriften, hier und da von scharfen Messern zerkratzt, verherrlichten die Religion, die Empfindsamkeit des Herzens und den Prunk bei Hofe.
    In der ersten Zeit war sie weit davon entfernt, sich im Kloster zu langweilen, sondern fühlte sich wohl in Gesellschaft der Schwestern, die sie zu ihrem Amüsement in die Kapelle führten, wohin man vom Refektorium über einen langen Flur gelangte. Sie spielte sehr wenig in den Pausen, begriff den

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