Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
passten die bis an die Nüstern mit Hafer vollgefutterten Pferde kaum noch in die Deichsel, sie schlugen aus, bäumten sich, das Zaumzeug riss, ihre Besitzer fluchten oder lachten; und die ganze Nacht sah man im Mondenschein auf den Straßen der Umgebung rasende Karriolen, die in gestrecktem Galopp dahinjagten, in den Wasserrinnen hüpften, über Kubikmeter Schotter sprangen, sich in den Böschungen verfingen, mit Frauen, die sich aus der Wagentür lehnten, um in die Zügel zu greifen.
Wer in Les Bertaux blieb, verbrachte die Nacht trinkend in der Küche. Die Kinder schliefen unter den Bänken.
Die Braut hatte ihren Vater gebeten, man möge sie verschonen mit den üblichen Späßen. Doch einer von ihren Cousins, ein Fischhändler (er hatte als Hochzeitsgeschenk sogar ein Seezungenpaar mitgebracht), wollte schon mit dem Mund Wasser durchs Schlüsselloch pusten, als Vater Rouault gerade noch rechtzeitig dazukam, um es zu verhindern, und ihm erklärte, die würdige Stellung seines Schwiegersohns verbiete solche Ungebührlichkeiten. Der Cousin ließ sich von diesen Gründen indes nur schwer überzeugen. Im stillen warf er Vater Rouault Hochnäsigkeit vor, und er setzte sich in eine Ecke zu vier oder fünf anderen Gästen, die bei Tisch zufällig mehrmals mindere Stücke vom Fleisch abgekriegt hatten, sich darum ebenfalls schlecht behandelt fühlten, über ihren Gastgeber tuschelten und in verhüllten Worten seinen Ruin herbeiwünschten.
Die alte Madame Bovary hatte den ganzen Tag lang den Mund nicht aufgemacht. Man hatte sie weder beim Kleid der Schwiegertochter um Rat gefragt noch bei der Speisenfolge; sie zog sich früh zurück. Anstatt es ihr gleichzutun, ließ ihr Mann Zigarren aus Saint-Victor kommen und rauchte bis zum Morgengrauen, dazu trank er Grogs mit Kirsch, eine der Versammlung unbekannte Mixtur, die ihm noch höheres Ansehen verschaffte.
Charles war kein geborener Possenreißer, während der Hochzeit hatte er nicht geglänzt. Er antwortete ziemlich ungeschickt auf Spott, Wortspiele, Zweideutigkeiten, Glückwünsche und schlüpfrige Reden, die man pflichtgemäß schon bei der Suppe auf ihn abschoss.
Am nächsten Tag hingegen wirkte er wie ausgewechselt. Ihn hätte man viel eher für die Jungfrau vom Vorabend halten können, während die Frischvermählte nichts erkennen ließ, was Rückschlüsse erlaubte. Auch den größten Schelmen fiel keine Bemerkung ein, und wenn sie vorbeikam, musterten alle sie mit maßloser Gespanntheit. Charles jedoch verbarg nichts. Er nannte sie meine Frau, duzte sie, erkundigte sich bei jedem nach ihr, suchte sie überall, und oft zog er sie hinaus auf die Höfe, wo man ihn von weitem sah, zwischen den Bäumen, wie er ihr den Arm um die Taille legte, halb über sie gebeugt weiterging und mit dem Kopf die Spitzenrüsche an ihrer Korsage zerknitterte.
Zwei Tage nach der Hochzeit verabschiedeten sich die Eheleute: Charles konnte wegen seiner Kranken nicht länger verweilen. Vater Rouault ließ sie in seiner Karriole nach Hause bringen und begleitete sie höchstpersönlich bis Vassonville. Hier umarmte er seine Tochter ein letztes Mal, stieg aus und machte sich wieder auf den Weg. Nachdem er zirka hundert Schritt gegangen war, blieb er stehen, und als er die entschwindende Karriole sah, deren Räder sich im Staube drehten, tat er einen tiefen Seufzer. Er dachte zurück an seine eigene Hochzeit, die frühere Zeit, die erste Schwangerschaft seiner Frau; auch er war sehr vergnügt gewesen an jenem Tag, da er sie von ihrem Vater mitgenommen hatte in sein Haus, als sie hinter ihm auf dem Pferd saß und mit ihm über den Schnee trabte; denn es war um die Weihnachtszeit und das Land war ganz weiß; sie hielt ihn mit einem Arm umfangen, am anderen hing ihr Korb; der Wind zerrte an den langen Spitzen ihres Kopfschmucks aus dem Pays de Caux, die hin und wieder seinen Mund berührten, und wenn er den Kopf drehte, sah er neben sich, auf seiner Schulter, ihr rosiges Gesichtchen, das still vor sich hin lächelte unter der breiten Goldborte der Haube. Um sich zu wärmen, steckte sie ihm von Zeit zu Zeit die Finger unter den Rock. Wie lange war das alles her! Ihr Sohn wäre jetzt schon dreißig Jahre alt! Nun blickte er hinter sich, er sah nichts auf der Straße. Er fühlte sich traurig wie ein Haus ohne Möbel; und da sich in seinem von Suff und Schlemmerei benebelten Hirn die zärtlichen Erinnerungen mit schwarzen Gedanken mischten, bekam er für eine Minute Lust, bei der Kirche
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