Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
vorbeizuschauen. Da er jedoch Angst hatte, ihr Anblick könnte ihn noch trauriger stimmen, lief er schnurstracks heim.
Monsieur und Madame Charles kamen gegen sechs nach Tostes. Die Nachbarn stellten sich ans Fenster, um die neue Frau ihres Arztes zu sehen.
Das alte Dienstmädchen erschien, begrüßte sie feierlich, entschuldigte sich, weil das Essen nicht fertig war, und bat Madame, sie möge doch einstweilen ihr Haus in Augenschein nehmen.
Anmerkungen
V.
Die Backsteinfassade grenzte direkt an die Gasse, oder vielmehr an die Landstraße. Hinter der Tür hingen ein Mantel mit schmalem Kragen, Zügel, eine schwarze Ledermütze, und in einer Ecke auf dem Boden lag ein Paar Gamaschen voll angetrocknetem Schlamm. Rechter Hand befand sich die große Stube, das heißt der Raum, wo gegessen wurde und wo man sich aufhielt. Eine kanariengelbe Tapete, am oberen Rand verziert von einer Girlande aus blassen Blumen, bebte in ihrer ganzen Länge auf der schlecht gespannten Leinwand; weiße Kalikovorhänge, eingefasst mit einer roten Borte, überkreuzten sich an den Fenstern, und auf dem schmalen Kaminsims blinkte eine Pendeluhr mit dem Haupt des Hippokrates, zwischen zwei versilberten Leuchtern unter eiförmigen Glasglocken. Auf der anderen Seite des Flurs befand sich Charles’ Arbeitszimmer, ein kleiner, etwa sechs Schritt breiter Raum mit einem Tisch, drei Stühlen und einem Bürosessel. Die unaufgeschnittenen Bände des Dictionnaire des sciences médicales , deren Broschur freilich gelitten hatte im Zuge der durchlebten Verkäufe und Weiterverkäufe, waren fast der einzige Schmuck auf den sechs Brettern eines Bücherschranks aus Tannenholz. Der Geruch von Einbrenne drang während der Sprechstunden durch die Wand, und genauso hörte man in der Küche die Kranken husten und ihre Geschichte hersagen. Danach kam, direkt auf den Hof hinausgehend, wo auch der Pferdestall war, ein großer, verwahrloster Raum, der einen Backofen besaß und jetzt als Holzschuppen diente, als Speisekammer, als Vorratslager, angefüllt mit altem Trödel, leeren Fässern, ausgedientem Ackergerät und einem Haufen anderer staubiger Dinge, deren Verwendungszweck unmöglich zu erraten war.
Der Garten, eher lang als breit, verlief zwischen zwei von Aprikosenspalieren überdeckten Lehmmauern bis zu einer Dornenhecke, die ihn von den Feldern trennte. In der Mitte stand eine Sonnenuhr aus Schiefer, auf einem gemauerten Sockel; vier Rabatten mit kärglichen wilden Rosen umrahmten symmetrisch das nützlichere Beet der ernstzunehmenden Pflanzen. Ganz hinten, unter den Fichten, las ein gipserner Pfarrer in seinem Brevier.
Emma stieg hinauf zu den Zimmern. Das erste war nicht möbliert; das zweite jedoch, das Schlafzimmer der Eheleute, hatte ein Mahagonibett in einem Alkoven mit roter Draperie. Ein Kästchen aus Muscheln schmückte die Kommode; und auf dem Sekretär am Fenster stand in einer Karaffe ein Strauß Orangenblüten, zusammengebunden mit weißen Satinbändern. Es war ein Brautstrauß, der Strauß der anderen! Sie betrachtete ihn. Charles merkte es, er nahm ihn und trug ihn auf den Dachboden, während Emma, in einem Lehnstuhl sitzend (ihre Sachen wurden um sie herum abgestellt), an ihren eigenen Hochzeitsstrauß dachte, der in einen Karton gepackt war, und sich versonnen fragte, was aus ihm würde, sollte sie zufällig sterben.
In den ersten Tagen war sie damit beschäftigt, über Veränderungen in ihrem Haus nachzugrübeln. Sie entfernte die Glasglocken an den Leuchtern, ließ neue Tapeten kleben, die Treppe streichen und im Garten Bänke zimmern, rund um die Sonnenuhr; sie fragte sogar, was sie tun müsse, um ein Becken mit Springbrunnen und Fischen zu bekommen. Und schließlich fand ihr Mann, der wusste, wie gern sie spazierenfuhr, einen Boc aus zweiter Hand, der mit neuen Laternen und Kotschutz aus abgestepptem Leder fast einem Tilbury glich.
Er war also glücklich und sorgte sich um nichts auf der Welt. Ein Essen zu zweit, eine Spazierfahrt abends auf der Landstraße, ihre Hand, wenn sie über ihr glattgescheiteltes Haar fuhr, der Anblick ihres Strohhuts, der an einem Fensterriegel hing, und vieles andere, hinter dem Charles niemals Freude vermutet hatte, bildeten jetzt sein beständiges Glück. Frühmorgens, im Bett und Kopf an Kopf auf dem Kissen, beobachtete er, wie das Sonnenlicht durch den Flaum ihrer hellen Wangen glitt, die halb versteckt waren unter den gefalteten Flügeln ihres Häubchens. Aus so großer Nähe wirkten ihre Augen
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