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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Fall
eine Aussprache!«
    Er setzte sich wieder hin und schrieb weiter:
    »Wenn Du diese betrübten Zeilen lesen wirst, bin ich schon weit
weg, denn ich muß eilends fliehen, um der Versuchung zu entrinnen,
Dich wiedersehen zu wollen. Ich darf nicht schwach
werden! Wenn ich wiederkomme, dann werden
wir vielleicht miteinander von unsrer verlorenen Liebe reden, kühl
und vernünftig. Adieu!«
    Er setzte noch ein ›A dieu!‹ darunter, in zwei Worten
geschrieben. Das hielt er für sehr geschmackvoll.
    »Wie soll ich nun unterzeichnen?« fragte er sich. »Dein
ergebenster? Nein! Dein treuer Freund? Ja, ja! Machen wir!«
    Und er schrieb:
    »Dein treuer Freund R.«
    Er las den ganzen Brief noch einmal durch. Er gefiel ihm.
    »Armes Frauchen!« dachte er in einem Anflug von Rührseligkeit.
»Sie wird denken, ich sei gefühllos wie Stein. Eigentlich fehlen
ein paar Tränenspuren. Aber heulen kann ich nicht. Das ist mein
Fehler.«
    Er goß etwas Wasser aus der Flasche in ein Glas, tauchte einen
Finger hinein, hielt die Hand hoch und ließ einen großen Tropfen
auf den Briefbogen herabfallen. Die Tinte der Schrift färbte ihn
blaßblau. Um den Brief zu versiegeln, suchte er nun nach einem
Petschaft. Das mit dem Wahlspruch Amor nel Cor geriet ihm in die
Hand.
    »Paßt eigentlich nicht gerade!« dachte er. »Ach was! Tut
nichts!«
    Er rauchte noch drei Pfeifen und ging dann schlafen.
    Es war spät geworden. Am andern Tage stand er mittags gegen zwei
Uhr auf. Alsbald ließ er ein Körbchen Aprikosen pflücken, legte den
Brief unter die Weinblätter am Boden und befahl Gerhard, seinem
Kutscher, den Korb unverzüglich Frau Bovary zu bringen. Auf diese
Art hatte er Emma häufig Nachrichten zukommen lassen, je nach der
Jahreszeit, zusammen mit Früchten oder Wild.
    »Wenn sie sich nach mir erkundigt,«
instruierte er, »dann antwortest du, ich sei verreist! Den Korb
gibst du ihr persönlich in die Hände! Verstanden? So! Ab!«
    Gerhard zog seine neue Bluse an, knüpfte sein Taschentuch über
die Aprikosen und marschierte in seinen Nagelschuhen mit
schwerfälligen Schritten voller Gemütsruhe gen Donville.
    Als der Kutscher dort ankam, war Frau Bovary gerade damit
beschäftigt, auf dem Küchentische zusammen mit Felicie Wäsche zu
falten.
    »Eine schöne Empfehlung von meinem Herrn,« vermeldete er, »und
das schickt er hier!«
    Emma überkam eine bange Ahnung, und während sie in ihrer
Schürzentasche nach einem Geldstücke zum Trinkgeld suchte, sah sie
den Mann mit verstörtem Blick an. Der betrachtete sie verwundert;
er begriff nicht, daß ein solches Geschenk jemanden so sehr
aufregen könne. Dann ging er.
    Felicie war noch da. Emma hielt es nicht länger aus, sie eilte
in das Eßzimmer, indem sie sagte, sie wolle die Aprikosen dahin
tragen. Dort schüttete sie den Korb aus, nahm die Weinblätter
heraus und fand den Brief. Sie öffnete ihn und floh hinauf nach
ihrem Zimmer, als brenne es hinter ihr. Sie war fassungslos vor
Angst.
    Karl war auf dem Flur. Sie sah ihn. Er sagte etwas zu ihr. Sie
verstand es nicht. Nun lief sie hastig noch eine Treppe höher,
außer Atem, wie vor den Kopf geschlagen, halbverrückt, immer den
unseligen Brief fest in der Hand, der ihr zwischen den Fingern
knisterte. Im zweiten Stock blieb sie vor der geschlossenen
Bodentüre stehen.
    Sie wollte sich beruhigen. Der Brief kam ihr nicht aus dem Sinn.
Sie wollte ihn ordentlich lesen, aber sie wagte es nicht. Nirgends
war sie ungestört. »Ja, hiergehts!« sagte
sie sich. Sie klinkte die Tür auf und trat in die Bodenkammer.
    Unter den Schieferplatten des Daches brütete dumpfe Schwüle, die
ihr auf die Schläfen drückte und den Atem benahm. Sie schleppte
sich bis zu dem großen Bodenfenster und stieß den Holzladen auf.
Grelles Licht flutete ihr entgegen.
    Vor ihr, über den Dächern, breitete sich das Land bis in die
Fernen. Unter ihr der Markt war menschenleer. Die Steine des
Fußsteigs glänzten. Die Wetterfahnen der Häuser standen
unbeweglich. Aus dem Eckhause schräg gegenüber, aus einem der
Dachfenster drang ein schnarrendes, kreischendes Geräusch herauf.
Binet saß an seiner Drehbank.
    Emma lehnte sich an das Fensterkreuz und las den Brief mit
zornverzerrtem Gesicht immer wieder von neuem. Aber je gründlicher
sie ihn studierte, um so wirrer wurden ihre Gedanken. Im Geist sah
sie den Geliebten, hörte ihn reden, zog ihn leidenschaftlich an
sich. Das Herz schlug ihr in der Brust wie mit wuchtigen
Hammerschlägen, die immer rascher und

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