Madame Bovary
Kratzfuß.
»Und dann brauche ich noch einen Koffer … keinen zu schweren …
einen handlichen…«
»Schön! Schön! Ich weiß schon:
zweiundneunzig zu fünfzig! Wie man sie jetzt meist hat!«
»Und eine Handtasche für das Nachtzeug!«
»Aha,« dachte der Händler, »sie hat sicher Krakeel gehabt!«
»Da!« sagte Frau Bovary, indem sie ihre Taschenuhr aus dem
Gürtel nestelte. »Nehmen Sie das! Machen Sie sich damit
bezahlt!«
Aber Lheureux sträubte sich dagegen. Das ginge nicht. Sie wäre
doch eine so gute Kundin. Ob sie kein Vertrauen zu ihm habe? Was
solle denn das? Doch sie bestand darauf, daß er wenigstens die
Kette nähme.
Er hatte sie bereits eingesackt und war schon draußen, da rief
ihn Emma zurück.
»Behalten Sie das Bestellte vorläufig bei sich! Und den Mantel
…,« sie tat so, als ob sie sichs überlegte »… den bringen Sie auch
nicht erst … oder noch besser: geben Sie mir die Adresse des
Schneiders und sagen Sie ihm, der Mantel soll bei ihm zum Abholen
bereitliegen.«
Die Flucht sollte im kommenden Monat erfolgen. Emma sollte
Yonville unter dem Vorwande verlassen, in Rouen Besorgungen zu
machen. Rudolf sollte dort schon vorher die Plätze in der Post
bestellen, Pässe besorgen und nach Paris schreiben, damit das
Gepäck gleich direkt bis Marseille befördert würde. In Marseille
wollten sie sich eine Kalesche kaufen, und dann sollte die Reise
ohne Aufenthalt weiter nach Genua gehen. Emmas Gepäck sollte
Lheureux mit der Post wegbringen, ohne daß irgendwer Verdacht
schöpfte. Bei allen diesen Vorbereitungen war von ihrem Kinde
niemals die Rede. Rudolf vermied es, davon zu sprechen. »Sie denkt
vielleicht nicht mehr daran«, sagte er sich.
Er erbat sich zunächst zwei Wochen Frist, um seine
Angelegenheiten zu ordnen; nach weiteren acht Tagen forderte er
nochmals zwei Wochen Zeit. Hernach wurde
er angeblich krank, sodann mußte er eine Reise machen. So verging
der August, bis sie sich nach allen diesen Verzögerungen
schließlich »unwiderruflich« auf Montag den 4. September
einigten.
Am Sonnabend vorher stellte sich Rudolf zeitiger denn gewöhnlich
ein.
»Ist alles bereit?« fragte sie ihn.
»Ja «
Sie machten einen Rundgang um die Beete und setzten sich dann
auf den Rand der Gartenmauer.
»Du bist verstimmt?« fragte Emma.
»Nein. Warum auch?«
Dabei sah er sie mit einem sonderbaren zärtlichen Blick an.
»Vielleicht weil es nun fortgeht?« fragte sie. »Weil du Dinge,
die dir lieb sind, verlassen sollst, dein ganzes jetziges Leben?
Ich verstehe das wohl, wenn ich selber auch nichts derlei auf der
Welt habe. Du bist mein alles! Und ebenso möchte ich dir alles
sein, Familie und Vaterland. Ich will dich hegen und pflegen. Und
dich lieben!«
»Wie lieb du bist!« sagte er und zog sie an sein Herz.
»Wirklich?« fragte sie in lachender Wollust. »Du liebst mich?
Schwöre mirs!«
»Ob ich dich liebe! Ob ich dich liebe! Ich bete dich an,
Liebste!«
Der Vollmond ging purpurrot auf, drüben über der Linie des
flachen Horizonts, wie mitten in den Wiesen. Rasch stieg er hoch,
und schon stand er hinter den Pappeln und schimmerte durch ihre
Zweige, versteckt wie hinter einem löchrigen, schwarzen Vorhang.
Und bald erschien er glänzend-weiß im klaren Raume des weiten
Himmels. Er ward immer silberner, und nun rieselte seine Lichtflut
auch unten im Bache über den Wellen in zahllosen funkelnden
Sternen, wie ein Strom geschmolzener Diamanten.
Ringsum leuchtete die laue lichte
Sommernacht. Nur in den Wipfeln hingen dunkle Schatten.
Mit halbgeschlossenen Augen atmete Emma in tiefen Zügen den
kühlen Nachtwind ein. Sie sprachen beide nicht, ganz versunken und
verloren in ihre Gedanken. Die Zärtlichkeit vergangener Tage
ergriff von neuem ihre Herzen, unerschöpflich und schweigsam wie
der dahinfließende Bach, lind und leise wie der Fliederduft. Die
Erinnerung an das Einst war von Schatten durchwirkt, die
verschwommener und wehmütiger waren als die der unbeweglichen
Weiden, deren Umrisse aus den Gräsern wuchsen. Zuweilen raschelte
auf seiner nächtlichen Jagd ein Tier durchs Gesträuch, ein Igel
oder ein Wiesel, oder man hörte, wie ein reifer Pfirsich von selber
zur Erde fiel.
»Was für eine wunderbare Nacht!« sagte Rudolf.
»Wir werden noch schönere erleben!« erwiderte Emma. Und wie zu
sich selbst fuhr sie fort: »Ach, wie herrlich wird unsere Reise
werden…. Aber warum ist mir das Herz so schwer? Warum wohl? Ist es
die Angst vor dem Unbekannten … oder die Scheu, das
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