Madame Bovary
bebenden
Händen die Kleider auf.
»Ich werde schnell Kräuteressig aus meinem Laboratorium holen!«
sagte Homais.
Als man Emma das Fläschchen ans Gesicht hielt, schlug sie
seufzend die Augen wieder auf.
»Natürlich!« meinte der Apotheker. »Damit kann man Tote
erwecken!«
»Sprich!« bat Karl. »Rede! Erhole dich! Ich bin ja da, dein
Karl, der dich liebt! Erkennst du mich? Hier ist auch Berta! Gib
ihr einen Kuß!«
Das Kind streckte die Ärmchen nach der Mutter aus und wollte sie
um den Hals fassen. Aber Emma wandte den Kopf weg und
stammelte:
»Nicht doch! Niemanden!«
Sie wurde abermals ohnmächtig. Man trug sie in ihr Bett.
Lang ausgestreckt lag sie da, mit offnem Munde, die Lider
geschlossen, die Hände schlaff herabhängend, regungslos und blaß
wie ein Wachsbild. Ihren Augen entquollen Tränen, die in zwei
Ketten langsam auf das Kissen rannen.
Karl stand an ihrem Bett; neben ihm der Apotheker, stumm und
nachdenklich, wie das bei ernsten Vorfällen so herkömmlich ist.
»Beruhigen Sie sich!« sagte Homais und zupfte den Arzt. »Ich
glaube, der Parorysmus ist vorüber.«
»Ja,« erwiderte Karl, die Schlummernde
betrachtend. »Jetzt scheint sie ein wenig zu schlafen, die Ärmste!
Ein Rückfall in das alte Leiden!«
Nun erkundigte sich Homais, wie das gekommen sei. Karl gab zur
Antwort:
»Ganz plötzlich! Während sie eine Aprikose aß.«
»Höchst merkwürdig!« meinte der Apotheker. »Es ist indessen
möglich, daß die Aprikosen die Ohnmacht verursacht haben. Es gibt
gewisse Naturen, die für bestimmte Gerüche stark empfänglich sind.
Es wäre eine sehr interessante Arbeit, diese Erscheinungen
wissenschaftlich zu untersuchen, sowohl nach physiologischen wie
nach pathologischen Gesichtspunkten. Die Pfaffen haben von jeher
gewußt, wie wertvoll das für sie ist. Die Verwendung von Weihrauch
beim Gottesdienst ist uralt. Damit schläfert man den Verstand ein
und versetzt Andächtige in Ekstase, am leichtesten übrigens
weibliche Wesen. Die sind feinnerviger als wir Männer. Ich habe von
Fällen gelesen, wo Frauen ohnmächtig geworden sind beim Geruch von
verbranntem Horn, frischem Brot….«
»Geben Sie acht, daß sie nicht aufgeweckt wird!« mahnte Bovary
mit flüsternder Stimme.
»Diese Anomalien kommen aber nicht allein bei Menschen vor,«
fuhr der Apotheker fort, »sondern sogar bei Tieren. Zweifellos ist
Ihnen nicht unbekannt, daß
Nepeta cataria
vulgär
Katzenminze, sonderbarerweise auf das gesamte Katzengeschlecht als
Aphrodisiakum wirkt. Einen weiteren Beleg kann ich aus meiner
eigenen Erfahrung anführen. Bridour, ein Studienfreund von mir – er
wohnt jetzt in der Malpalu-Straße – besitzt einen Foxterrier, der
jedesmal Krämpfe bekommt, wenn man ihm eine Schnupftabaksdose vor
die Nase hält. Ich habe dieses Experiment selber ein paarmal mit
angesehen, im Landhause meines Freundes am Wilhelmswalde. Sollte
mans für möglich halten, daß ein so
harmloses Niesemittel in den Organismus eines Vierfüßlers derartig
eingreifen kann? Das ist höchst merkwürdig, nicht wahr?«
»Gewiß!« sagte Karl,der gar nicht darauf gehört hatte.
»Das beweist uns,« fuhr der andre fort, gutmütig-selbstgefällig
lächelnd, »daß im Nervensystem zahllose Unregelmäßigkeiten möglich
sind. Ich muß gestehen, daß mir Ihre Frau Gemahlin immer
außerordentlich reizsam vorgekommen ist. Darum möchte ich Ihnen,
verehrter Freund, auf keinen Fall raten, ihr eine jener Arzneien zu
verordnen, die angeblich die Symptome so einer Krankheit beseitigen
sollen, in Wirklichkeit aber nur der Gesundheit schaden. Nein,
nein, hier sind Medikamente unnütz! Diät! Weiter nichts!
Beruhigende, milde, kräftigende Kost! Und dann, könnte man bei ihr
nicht auch irgendwie auf die Einbildungskraft einzuwirken
versuchen?«
»Wieso? Womit?«
»Ja, das ist eben die Frage! Das ist wirklich die
Frage!
That is the question
! – wie ich neulich in der
Zeitung gelesen habe.«
Emma erwachte und rief:
»Der Brief? Der Brief?«
Die beiden Männer glaubten, sie rede im Delirium. In der Tat
trat das mitternachts ein. Emma hatte Gehirnentzündung.
In den nächsten sechs Wochen wich Karl nicht von ihrem Lager. Er
vernachlässigte alle seine Patienten. Er schlief kaum mehr,
unermüdlich maß er ihren Puls, legte ihr Senfpflaster auf und
erneute die Kaltwasser-Umschläge. Er schickte Justin nach
Neufchâtel, um Eis zu holen. Es schmolz unterwegs. Justin mußte
nochmals hin. Doktor Canivet wurde konsultiert.
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