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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Empfindung. Er war
Genie und Scharlatan zugleich, und in seinem Wesen lag ebensoviel
von einem Friseur wie von einem Toreador.
    Sobald er nur auf der Bühne erschien, begeisterte er Emma. Er
schloß Lucia in seine Arme, wandte sich weg und kam wieder,
sichtlich verzweifelt. Bald loderte sein Haß wild auf, bald klagte
er in den zartesten Elegien, und die Töne perlten ihm aus der
Kehle, zwischen Tränen und Küssen. Emma beugte sich weit vor, um
ihn voll zu sehen, wobei sich ihre Fingernägel in den Plüsch der
Logenbrüstung eingruben. Ihr Herz ward voll von diesen wehmütigen
Melodien, die, von den Kontrabässen dumpf begleitet, nicht
aufhörten, gleich wie die Notschreie von Schiffbrüchigen im
Sturmgebraus. Die junge Frau kannte alle diese Verzücktheiten und
Herzensängste, die sie unlängst dem Tode so nahe gebracht hatten.
Die Stimme der Primadonna erschütterte sie wie eine laute
Verkündung ihrer heimlichsten Beichte. Das Scheinbild der Kunst
beleuchtete ihr die eigenen Erlebnisse. Aber ach, so wie Lucia war
sie doch von niemanden in der Welt geliebt worden! Rudolf hatte
nicht um sie geweint, so wie Edgard, am letzten Abend im
Mondenschein, als sie sich Lebewohl sagten….
    Beifall durchstürmte das Haus. Die ganze Stretta mußte
wiederholt werden. Noch einmal sangen die Liebenden von den Blumen
auf ihren Gräbern, von Treue, Trennung, Verhängnis und Hoffnungen;
und als sie sich den letzten Scheidegruß zuriefen, stieß Emma einen
lauten Schrei aus, der in der Orchestermusik des Finale
verhallte.
    »Warum läßt sie denn eigentlich dieser Edelmann nicht in Ruhe?«
fragte Bovary.
    »Aber nein!« antwortete sie. »Das ist doch ihr Geliebter!«
    »Er schwört doch, er wolle sich an ihrer Familie rächen. Und der
andre, der dann kam, hat doch gesagt:
'Nimm, Teure, meine Schwüre
an
Der reinsten, wärmsten Liebe!'
    Und sie sagt:
'So sei es denn!'
    Übrigens der, mit dem sie fortging, Arm in Arm, der kleine
Häßliche mit der Hahnenfeder auf dem Hut, das war doch ihr Vater,
nicht wahr?«
    Trotz Emmas Berichtigungen blieb Karl, der das Rezitativ im
zweiten Akte zwischen Lord Ashton und Gilbert mißverstanden hatte,
bei dem Glauben, Edgard habe Lucia ein Liebeszeichen gesandt. Er
gestand ein, von der ganzen Handlung nichts begriffen zu haben. Die
Musik störe, sie beeinträchtige den Text.
    »Was schadet das?« wandte Emma ein. »Nun sei aber still!«
    Er lehnte sich an ihren Arm. »Ich möchte gern im Bilde sein.
Weißt du?«
    »Sei doch endlich still!« sagte sie unwillig. »Schweig!«
    Lucia nahte, von ihren Dienerinnen gestützt, einen Myrtenkranz
im Haar, bleicher als der weiße Atlas ihres Kleides…. Emma gedachte
ihres eigenen Hochzeitstages, sie sah sich zwischen den
Kornfeldern, auf dem schmalen Fußweg auf dem Gange zur Kirche.
Warum hatte sie sich da nicht so widersetzt wie Lucia, unter
leidenschaftlichem Flehen? Sie war vielmehr so fröhlich gewesen,
ohne im geringsten zu ahnen, welcher Niederung sie zuschritt … Ach,
hätte sie, jung und frisch und schön, noch nicht besudelt durch die
Ehe, noch nicht enttäuscht in ihrem Ehebruch, auf ein festes edles
Herz bauen und Tugend, Zärtlichkeit, Sinnenlust und Pflichttreue
zusammen fühlen dürfen! Niemals wäre sie von der Höhe solcher
Glückseligkeit herabgesunken! »Nein, nein!« rief sie schmerzlich
bei sich aus. »All das große Glück da unten ist doch nur Lug und
Trug, erdichtet von sehnsüchtigen oder verzweifelten Phantasten!«
Jetzt erkannte sie, daß die Leidenschaften in der
Wirklichkeit armselig sind und nur in der
Überschwenglichkeit der Kunst etwas Großes. Sie versuchte sich zur
nüchternen Anschauung zu zwingen. Sie wollte in dieser Wiedergabe
ihrer eigenen Schmerzen nichts mehr sehen als ein plastisches
Phantasiegebilde, nichts mehr und nichts weniger als eine amüsante
Augenweide. Und so lächelte sie in Gedanken überlegen-nachsichtig,
als im Hintergrunde der Bühne hinter einer Samtportiere ein Mann in
einem schwarzen Mantel erschien, dem sein breitkrempiger großer Hut
bei einer Körperbewegung vom Kopfe fiel.
    Das Sextett begann. Sänger und Orchester entfalten sich. Edgard
rast vor Wut; sein glockenklarer Tenor dominiert, Ashton schleudert
ihm in wuchtigen Tönen seine Todesdrohungen entgegen, Lucia klagt
in schrillen Schreien, Arthur bleibt im Maße der Nebenrolle, und
Raimunds Baß brummt wie Orgelgebraus. Die Frauen des Chors
wiederholen die Worte, ein köstliches Echo. Gestikulierend stehen
sie alle in einer Reihe. Zorn,

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