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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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dem Arzte empfahl, er solle mit seiner
Frau zu ihrer Zerstreuung nach Rouen fahren und sich dort im
Theater den berühmten Tenor Lagardy anhören. Homais wunderte sich
über diese Duldsamkeit und fühlte ihm deshalb etwas auf den Zahn.
Der Priester erklärte, er halte die Musik für weniger
sittenverderbend als die Literatur. Aber Homais verteidigte die
letztere. Er behauptete, das Theater kämpfe unter dem leichten
Gewande des Spiels gegen veraltete Ideen und für die wahre
Moral.
    » 
Castigat ridendo mores
, verehrter Herr Pfarrer!«
zitierte er. »Sehen Sie sich daraufhin mal die Tragödien Voltaires
an! Die meisten von ihnen sind mit
philosophischen Aphorismen durchsetzt, die eine wahre Schule der
Moral und Lebensklugheit für das Volk sind.«
    »Ich habe einmal ein Stück gesehen,« sagte Binet, »es hieß: 'Der
Pariser Taugenichts.' Darin kommt ein alter General vor, wirklich
ein hahnebüchner Kerl. Er verstößt seinen Sohn, der eine Arbeiterin
verführt hat; zu guter Letzt aber….«
    »Gewiß«, unterbrach ihn Homais, »gibt es schlechte Literatur,
genau so wie es schlechte Arzneien gibt. Aber die wichtigste aller
Künste deshalb gleich in Bausch und Bogen zu verurteilen, das dünkt
mich eine kolossale Dummheit, eine groteske Idee, würdig der
abscheulichen Zeiten, die einen Galilei im Kerker schmachten
ließen.«
    Der Pfarrer ergriff das Wort:
    »Ich weiß sehr wohl: es gibt gute Dramen und gute
Theaterschriftsteller. Aber diese modernen Stücke, in denen
Personen zweierlei Geschlechts in Prunkgemächern, vollgepfropft von
weltlichem Tand, zusammengesteckt werden, diese schamlosen
Bühnenmätzchen, dieser Kostümluxus, diese Lichtvergeudung, dieser
Feminismus, alles das hat keine andre Wirkung, als daß es
leichtfertige Ideen in die Welt setzt, schändliche Gedanken und
unzüchtige Anwandlungen. Wenigstens ist das zu allen Zeiten die
Ansicht der kirchlichen Autoritäten.«
    Er nahm einen salbungsvollen Ton an, während er zwischen seinen
Fingern eine Prise Tabak hin und her rieb. »Und wenn die Kirche das
Theater zuweilen in Acht und Bann getan hat, war sie in ihrem
vollen Rechte. Wir müssen uns ihrem Gebote fügen.«
    »Jawohl,« eiferte der Apotheker, »man exkommuniziert die
Schauspieler. In früheren Jahrhunderten nahmen sie an den
kirchlichen Feiern teil. Man spielte sogar in der Kirche
possenhafte Stücke, die sogenannten
Mysterien, in denen es häufig nichts weniger als dezent
zuging….«
    Der Geistliche begnügte sich, einen Seufzer auszustoßen. Der
Apotheker redete immer weiter:
    »Und wie stehts mit der Bibel? Es wimmelt darin – Sie wissens ja
am besten – von Unanständigkeiten und – man kann nicht anders sagen
– groben Schweinereien….« Bournisien machte eine unwillige Gebärde.
»Aber Sie müssen mir doch zugeben, daß das kein Buch ist, das man
jungen Leuten in die Hand geben kann. Ich werde es nie zulassen,
daß meine Athalie….«
    »Das sind ja die Protestanten, nicht wir,« rief der Pfarrer
ungeduldig, »die den Leuten die Bibel überlassen!«
    »Das kommt hier nicht in Frage«, erklärte Homais. »Ich wundre
mich nur, daß man noch in unsrer Zeit, im Jahrhundert der
wissenschaftlichen Aufklärung, eine geistige Erholung zu verdammen
sucht, die in gesellschaftlicher, in moralischer, ja sogar in
hygienischer Beziehung die Menschheit fördert! Das ist doch so,
nicht, Doktor?«
    »Zweifellos!« erwiderte der Arzt nachlässig. Entweder wollte er
niemandem zu nahetreten, obgleich er dieselbe Ansicht hegte, oder
er hatte hierüber überhaupt keine Meinung.
    Die Unterhaltung war eigentlich zu Ende, aber der Apotheker
hielt es für angebracht, eine letzte Attacke zu reiten.
    »Ich habe Geistliche gekannt,« behauptete er, »die in Zivil ins
Theater gingen, um die Balletteusen mit den Beinen strampeln zu
sehen.«
    »Ach was!« wehrte der Pfarrer ab.
    »Doch! Ich kenne welche!« Und nochmals sagte er, Silbe für Silbe
einzeln betonend: »Ich – ken – ne – wel – che!«
    »Na ja,« meinte Bournisien nachgiebig, »die Betreffenden haben
da aber etwas Unrechtes getan.«
    »Was Unrechtes? Der Teufel soll mich holen!
Sie taten noch ganz andre Dinge!«
    »Herr – Apo – the – ker!« rief der Geistliche mit einem so
zornigen Blicke, daß Homais eingeschüchtert wurde und
einlenkte:
    »Ich wollte damit ja nur sagen, daß die Toleranz die beste
Fürsprecherin der Kirche ist.«
    »Sehr wahr! Sehr wahr!« gab der gutmütige Pfarrer zu, indem er
sich wieder in seinen Stuhl

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