Madame Bovary
Studienzeit die Ballsäle
fleißig besucht und daselbst recht hübsche Erfolge bei den
Grisetten gehabt. Sie hatten gefunden, er sähe sehr schick aus.
Übrigens war er der mäßigste Student. Er trug das Haar weder zu
kurz noch zu lang, verjuchheite nicht gleich am Ersten des Monats
sein ganzes Geld und stand sich mit seinen Professoren
vortrefflich. Von wirklichen Ausschweifungen hatte er sich allezeit
fern gehalten, aus Ängstlichkeit und weil ihm das wüste Leben zu
grob war.
Oft, wenn er des Abends in seinem Zimmer las oder unter den
Linden des Luxemburggartens saß, glitt ihm sein Code-Napoléon aus
den Händen. Dann kam ihm Emma in den Sinn. Aber allmählich
verblaßte diese Erinnerung, und allerlei Liebeleien überwucherten
sie, ohne sie freilich ganz zu ersticken. Denn er hatte noch nicht
alle Hoffnung verloren, und ein vages Versprechen winkte ihm in der
Zukunft wie eine goldne Frucht an einem Wunderbaume.
Als er sie jetzt nach dreijähriger Trennung wiedersah, erwachte
seine alte Leidenschaft wieder. Er sagte sich, jetzt gälte es, sich
fest zu entschließen, wenn er sie besitzen wollte. Seine ehemalige
Schüchternheit hatte er übrigens im Verkehr mit leichtfertiger
Gesellschaft abgelegt. Er war in die Provinz zurückgekehrt mit
einer gewissen Verachtung aller derer, die nicht schon ein paar
Lackschuhe auf dem Asphalt der Großstadt abgetreten hatten. Vor
einer Pariserin in Spitzen, im Salon eines berühmten Professors mit
Orden und Equipage, hätte der arme Adjunkt sicherlich gezittert wie
ein Kind, hier aber, in Rouen, am Hafen, vor der Frau dieses
kleinen Landarztes, da fühlte er sich überlegen und eines leichten
Sieges gewiß. Sicheres Auftreten hängt von der Umgebung ab. Im ersten Stock spricht man anders als
im vierten, und es ist beinahe, als seien die Banknoten einer
reichen Frau ihr Tugendwächter. Sie trägt sie alle mit sich wie ein
Panzerhemd unter ihrem Korsett.
Nachdem sich Leo von Herrn und Frau Bovary verabschiedet hatte,
war er aus einiger Entfernung den beiden durch die Straßen gefolgt,
bis er sie im »Roten Kreuz« verschwinden sah. Dann machte er kehrt
und grübelte die ganze Nacht hindurch über einen Kriegsplan.
Am andern Tag nachmittags gegen fünf Uhr betrat er den Gasthof
mit beklommener Kehle, blassen Wangen und dem festen Entschluß, vor
nichts zurückzuscheuen.
»Der Herr Doktor ist schon wieder abgereist!« vermeldete ihm ein
Kellner.
Leo faßte das als gutes Vorzeichen auf. Er stieg hinauf.
Emma war offenbar gar nicht aufgeregt, als er eintrat. Sie bat
ihn kühl um Entschuldigung, daß sie gestern vergessen habe, ihm
mitzuteilen, in welchem Gasthofe sie abgestiegen seien.
»O, das habe ich erraten«, sagte Leo.
»Wieso?«
Er behauptete, das gute Glück, eine innere Stimme habe ihn
hierher geleitet.
Sie lächelte; und um seine Albernheit wieder gutzumachen, log er
nunmehr, er habe den ganzen Morgen damit zugebracht, in allen
Gasthöfen nach ihnen zu fragen.
»Sie haben sich also entschlossen zu bleiben?« fügte er
hinzu.
»Ja,« gab sie zur Antwort, »aber ich hätte es lieber nicht tun
sollen. Man darf sich nicht an unpraktische Vergnügungen gewöhnen,
wenn man zu Hause tausend Pflichten hat…«
»Ja, das kann ich mir denken…«
»Nein, das können Sie nicht. Das kann nur eine Frau.«
Er meinte, die Männer hätten auch ihr Kreuz,
und nach einer philosophischen Einleitung begann die eigentliche
Unterhaltung. Emma beklagte die Armseligkeit der irdischen Freuden
und die ewige Einsamkeit, in die das Menschenherz verbannt sei.
Um sich Ansehen zu geben, oder vielleicht auch in
unwillkürlicher Nachahmung ihrer Melancholie, die ihn angesteckt
hatte, behauptete der junge Mann, er hätte sich während seiner
ganzen Studienzeit ungeheuerlich gelangweilt. Die Juristerei sei
ihm gräßlich zuwider. Andere Berufsarten lockten ihn stark, aber
seine Mutter quäle ihn in jedem ihrer Briefe. Mehr und mehr
schilderten sie sich die Gründe ihres Leids, und je eifriger sie
sprachen, um so stärker packte sie die wachsende Vertraulichkeit.
Aber ganz offen waren sie alle beide nicht; sie suchten nach
Worten, mit denen sie die nackte Wahrheit umschreiben könnten. Emma
verheimlichte es, daß sie inzwischen einen andern geliebt, und er
gestand nicht, daß er sie vergessen hatte. Vielleicht dachte er
auch wirklich nicht mehr an die Soupers nach den Maskenbällen, und
sie erinnerte sich nicht ihrer Morgengänge, wie sie durch die
Wiesen nach dem Rittergute zu dem Geliebten
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