Madame Bovary
mir
gar nicht! Wie oft hab ich sie vor mir gesehen, wie damals im
Sommer, wenn die Morgensonne auf Ihre Jalousien schien … und Sie
mit bloßen Armen Ihre Blumen begossen….«
»Armer Freund.« sagte sie und reichte ihm ihre Hand.
Leo beeilte sich, seine Lippen darauf zu pressen. Dann seufzte
er tief auf und sagte:
»Damals übten Sie einen geheimnisvollen Zauber auf mich aus. Ich
war ganz in Ihrem Banne. Einmal zum Beispiel kam ich zu Ihnen …
aber Sie werden sich wohl nicht mehr daran erinnern?«
»Doch, fahren Sie nur fort!«
»Sie standen unten in der Hausflur, wo die Treppe aufhört,
gerade im Begriff auszugehen. Sie hatten einen Hut mit kleinen
blauen Blumen auf. Ohne daß Sie mich dazu aufgefordert hatten,
begleitete ich Sie. Ich konnte nicht anders. Aber mir jeder Minute
trat es mir klarer ins Bewußtsein, wie ungezogen das von mir war.
Ängstlich und unsicher ging ich neben Ihnen her und brachte es doch
nicht über mich, mich von Ihnen zu trennen. Wenn Sie in einen Laden
traten, wartete ich draußen auf der Straße und sah Ihnen durch das
Schaufenster zu, wie Sie die Handschuhe abstreiften und das Geld
auf den Ladentisch legten. Zuletzt klingelten Sie bei Frau Tüvache;
man öffnete Ihnen, und ich stand wie ein begossener Pudel vor der mächtigen Haustüre, die hinter Ihnen
ins Schloß gefallen war.«
Frau Bovary hörte ihm zu, ganz verwundert. Wie lange war das
schon her! Alle diese Dinge, die aus der Vergessenheit
heraufstiegen, erweckten in ihr das Gefühl, eine alte Frau zu sein.
Unendlich viele innere Erlebnisse lagen dazwischen. Ab und zu sagte
sie mit leiser Stimme und halbgeschlossenen Lidern:
»Ja … So war es … So war es … So war es!«
Von den verschiedenen Uhren der Stadt schlug es acht, von den
Uhren der Schulen, Kirchen und verlassenen Paläste. Sie sprachen
nicht mehr, aber sie sahen einander an und spürten dabei ein
Brausen in ihren Köpfen, und jeder hatte das Gefühl, dieses
Rauschen ströme aus den starren Augensternen des anderen. Ihre
Hände hatten sich gefunden, und Vergangenheit und Zukunft,
Erinnerung und Träume, alles ward eins mir der zärtlichen Wonne des
Augenblicks. Die Dämmerung dichtete sich an den Wänden, und halb im
Dunkel verloren, schimmerten nur noch die grellen Farbenflecke von
vier dahängenden Buntdrucken. Durch das oben offene Fenster
erblickte man zwischen spitzen Dachgiebeln ein Stück des schwarzen
Himmels.
Emma erhob sich, um die Kerzen in den beiden Leuchtern auf der
Kommode anzuzünden. Dann setzte sie sich wieder.
»Was ich sagen wollte….«, begann Leo von neuem.
»Was war es?«
Er suchte nach Worten, um die unterbrochene Unterhaltung wieder
anzuknüpfen, da fragte sie ihn:
»Wie kommt es, daß mir noch niemand solche innere Erlebnisse
anvertraut hat?«
Leo erwiderte, ideale Naturen fänden selten Wahlverwandte. Er
habe sie vorn ersten Augenblicke an geliebt, und der Gedanke bringe
ihn zur Verzweiflung, daß sie miteinander für immerdar verbunden worden wären, wenn ein guter Stern
sie früher zusammengeführt hätte.
»Ich habe manchmal dasselbe gedacht«, sagte sie.
»Welch ein schöner Traum!« murmelte Leo. Und während er mit der
Hand über den blauen Saum der Schleife ihres weißen Gürtels
hinstrich, fügte er hinzu: »Aber was hindert uns denn, von vorn
anzufangen?«
»Nein, mein Freund«, erwiderte sie. »Dazu bin ich zu alt … und
Sie zu jung … Vergessen Sie mich! Andre werden Sie lieben … und Sie
werden sie wieder lieben!«
»Nicht so, wie ich Sie liebe!«
»Sie sind ein Kind! Seien Sie vernünftig. Ich will es!«
Sie setzte ihm auseinander, daß Liebe zwischen ihnen ein Ding
der Unmöglichkeit sei und daß sie sich nur wie Schwester und Bruder
lieben könnten, wie ehemals.
Ob sie das wirklich im Ernst sagte, das wußte sie selbst nicht.
Sie fühlte nur, wie sie der Verführung zu unterliegen drohte und
daß sie dagegen ankämpfen müsse. Sie sah Leo zärtlich an und stieß
sanft seine zitternden Hände zurück, die sie schüchtern zu
liebkosen versuchten.
»Seien Sie mir nicht bös!« sagte er und wich zurück.
Emma empfand eine unbestimmte Furcht vor seiner Zaghaftigkeit,
die ihr viel gefährlicher war als die Kühnheit Rudolfs, wenn er mit
ausgebreiteten Armen auf sie zugekommen war. Niemals war ihr ein
Mann so schön erschienen. In seinem Wesen lag eine köstliche
Keuschheit. Seine Augen mit den langen, feinen, ein wenig
aufwärtsgebogenen Wimpern waren halb geschlossen. Die zarte Haut
seiner Wangen war
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