Madame Bovary
unter diesem sichren Stein ruht Peter von Brézé, Edler
Herr von Varenne und Brissac, Großseneschall von Poitou und
Verweser der Normandie, gefallen in der Schlacht bei Montlhéry am
16. Juli l465.«
Leo biß sich in die Lippen und trat vor Ungeduld von einem Fuße
auf den andern.
»Und hier rechts, dieser Ritter im Harnisch auf dem steigenden
Rosse, ist sein Enkel Ludwig von Brézé, Edler Herr von Breval und
Montchauvet, Graf von Maulevrier, Baron von Mauny, Kammerherr des
Königs, Ordensritter und ebenfalls Verweser der Normandie,
gestorben am 23. Juli 1531, an einem Sonntag, wie die Inschrift
besagt. Und dieser Mann hier unten, der eben ins Grab steigen will,
zeigt ihn ebenfalls. Eine unübertreffliche Darstellung der
irdischen Vergänglichkeit!«
Frau Bovary nahm ihr Lorgnon. Leo stand unbeweglich dabei und
sah sie an. Er wagte weder ein Wort zu sprechen noch eine Geste zu
machen. So sehr entmutigte ihn das langweilige Geschwätz auf der
einen und die Gleichgültigkeit auf der andern Seite.
Der unermüdliche Cicerone fuhr fort:
»Hier diese Frau, die weinend neben ihm kniet, ist seine
Gemahlin Diana von Poitiers, Gräfin von Brézé, Herzogin von
Valentinois, geboren 1499, gestorben Anno 1566. Und hier links die
weibliche Gestalt mit dem Kind auf dem Arm ist die heilige
Jungfrau. Jetzt bitte ich die Herrschaften hierher zu sehen. Hier
sind die Grabmäler derer von Amboise! Sie waren beide Kardinäle und
Erzbischöfe von Rouen. Dieser hier war Minister König Ludwigs des
Zwölften. Die Kathedrale hat ihm sehr viel zu verdanken. In seinem
Testament vermachte er den Armen dreißigtausend Taler in Gold.«
Ohne stehen zu bleiben und fortwährend redend, drängte er die
beiden in eine Kapelle, die durch ein Geländer abgesperrt war. Er
öffnete es und zeigte auf einen Stein in der Mauer, der einmal eine
schlechte Statue gewesen sein konnte.
»Dieser Stein zierte dereinst«, sagte er mit einem tiefen
Seufzer, »das Grab von Richard Löwenherz, König von England und
Herzog von der Normandie. Die Kalvinisten haben ihn so zugerichtet,
meine Herrschaften. Sie haben ihn aus Bosheit hier eingesetzt. Hier
sehen Sie auch die Tür, durch die sich Seine Eminenz in die Wohnung
begibt. Jetzt kommen wir zu den berühmten Kirchenfenstern von
Lagargouille!«
Da drückte ihm Leo hastig ein großes Silberstück in die Hand und
nahm Emmas Arm. Der Schweizer war ganz verblüfft über die
Freigebigkeit des Fremden, der noch lange nicht alle
Sehenswürdigkeiten gesehen hatte. Er rief ihm nach:
»Meine Herrschaften, der Turm, der Turm!«
»Danke!« erwiderte Leo.
»Er ist wirklich sehenswert, meine Herrschaften! Er misst
vierhundertvierzig Fuß, nur neun weniger als die grösste ägyptische
Pyramide, und ist vollständig aus Eisen….«
Leo eilte weiter. Seine Liebe war seit zwei
Stunden stumm wie die Steine der Kathedrale. Er hatte keine Lust,
sie nun auch noch durch den grotesken käfigartigen Schornstein
zwängen zu lassen, den ein überspannter Eisengießer keck auf die
Kirche gesetzt hatte. Das wäre ihr Tod gewesen.
»Wohin gehen wir nun?« fragte Emma.
Ohne zu antworten, lief er rasch weiter, und Frau Bovary tauchte
schon ihren Finger in das Weihwasserbecken am Ausgang, als sie
plötzlich hinter sich ein Schnaufen und das regelmäßige Aufklopfen
eines Stockes hörten. Leo wandte sich um.
»Meine Herrschaften!«
»Was gibts?«
Es war wieder der Schweizer, der ein paar Dutzend dicke
ungebundene Bücher, mit seinem linken Arme gegen den Bauch
gedrückt, trug. Es war die Literatur über die Kathedrale.
»Troddel!« murmelte Leo und stürzte aus der Kirche.
Ein Junge spielte auf dem Vorplatz.
»Hol uns eine Droschke!«
Der Knabe rannte über den Platz, während sie ein paar Minuten
allein dastanden. Sie sahen einander an und waren ein wenig
verlegen.
»Leo … wirklich … ich weiß nicht … ob ich darf!« Es klang wie
Koketterie. In ernstem Tone setzte sie hinzu: »Es ist sehr
unschicklich, wissen Sie das?«
»Wieso?« erwiderte der Adjunkt.
»In
Paris
macht mans so!«
Dieses eine Wort bestimmte sie wie ein unumstößliches Argument.
Aber der Wagen kam nicht. Leo fürchtete schon, sie könne wieder in
die Kirche gehen. Endlich erschien die Droschke.
»Fahren Sie wenigstens noch ans Nordportal!« rief ihnen der
Schweizer nach. »Und sehen Sie sich 'Die Auferstehung',
das 'Jüngste Gericht', den 'König David'
und 'Die Verdammten in der Hölle' an!«
»Wohin wollen die Herrschaften?« fragte der
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