Madame Bovary
als so, wie sie ausgesehen
hatte, als er sie zum ersten Male erblickt, oder so, wie er sie
eben vor sich gehabt hatte. Dann fragte er sich, wie es wohl würde,
wenn sie sich verheiratete, aber mit wem? Ja, ja, mit wem? Ihr
Vater war so reich und sie … so schön!
Und immer wieder sah er Emmas Gesicht vor seinen geistigen
Augen, und eine Art eintönige Melodie summte ihm durch die Ohren
wie das Surren eines Kreisels: »Emma, wenn du dich verheiratetest!
Wenn du dich nun verheiratetest!« In der Nacht konnte er keinen
Schlaf finden. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er verspürte
Durst, stand auf, trank ein Glas Wasser und machte das Fenster auf.
Der Himmel stand voller Sterne. Der laue Nachtwind strich in das
Zimmer. Fern bellten Hunde. Er wandte den Blick in die Rötung nach
Bertaux.
Endlich kam er auf den Gedanken, daß es den Hals nicht kosten
könne, und so nahm er sich vor, bei der ersten besten Gelegenheit
um Emmas Hand zu bitten. Aber sooft sich diese Gelegenheit bot,
wollten ihm vor lauter Angst die passenden Worte nicht über die
Lippen. Vater Rouault hätte längst nichts dagegen gehabt, wenn ihm
jemand seine Tochter geholt hätte. Im Grunde nützte sie ihm in Haus
und Hof nicht viel. Er machte ihr keinen Vorwurf daraus: sie war
eben für die Landwirtschaft zu geweckt. »Ein gottverdammtes
Gewerbe!« pflegte er zu schimpfen. »Das hat auch noch keinen zum
Millionär gemacht!« Ihm hatte es in der Tat keine Reichtümer
gebracht; im Gegenteil, er setzte alle Jahre zu. Denn wenn er auch
auf den Märkten zu seinem Stolz als gerissener Kerl bekannt war, so
war er eigentlich doch für Ackerbau und Viehzucht durchaus nicht
geschaffen. Er verstand nicht zu
wirtschaften. Er nahm nicht gern die Hände aus den Hosentaschen,
und seinem eigenen Leibe war er kein Stiefvater. Er hielt auf gut
Essen und Trinken, einen warmen Ofen und ausgiebigen Schlaf. Ein
gutes Glas Landwein, ein halb durchgebratenes Hammelkotelett und
ein Täßchen Mokka mit Kognak gehörten zu den Idealen seines Lebens.
Er nahm seine Mahlzeiten in der Küche ein und zwar allein für sich,
in der Nähe des Herdfeuers an einem kleinen Tische, der ihm – wie
auf der Bühne – fix und fertig gedeckt hereingebracht werden
mußte.
Als er die Entdeckung machte, daß Karl einen roten Kopf bekam,
wenn er Emma sah, war er sich sofort klar, daß früher oder später
ein Heiratsantrag zu erwarten war. Alsobald überlegte er sich die
Geschichte. Besonders schneidig sah ja Karl Bovary nicht gerade
aus, und Rouault hatte sich ehedem seinen künftigen Schwiegersohn
ein bißchen anders gedacht, aber er war doch als anständiger Kerl
bekannt, sparsam und tüchtig in seinem Berufe. Und zweifellos würde
er wegen der Mitgift nicht lange feilschen. Vater Rouault hatte
gerade eine Menge großer Ausgaben. Um allerlei Handwerker zu
bezahlen, sah er sich gezwungen, zweiundzwanzig Acker von seinem
Grund und Boden zu verkaufen. Die Kelter mußte auch erneuert
werden. Und so sagte er sich: »Wenn er um Emma anhält, soll er sie
kriegen!«
Zur Weinlese war Karl drei Tage lang da. Aber Tag verging auf
Tag und Stunde auf Stunde, ohne daß Karls Wille zur Tat ward.
Rouault gab ihm ein kleines Stück Wegs das Geleite; am Ende des
Hohlwegs vor dem Dorfe pflegte er sich von seinem Gaste zu
verabschieden. Das war also der Moment! Karl nahm sich noch Zeit
bis zuallerletzt. Erst als die Hecke hinter ihnen lag, stotterte er
los:
»Verehrter Herr Rouault, ich möchte Ihnen gern etwas sagen!«
Weiter brachte er nichts heraus. Die beiden
Männer blieben stehen.
»Na, raus mit der Sprache! Ich kann mirs schon denken!« Rouault
lachte gemütlich.
»Vater Rouault! Vater Rouault!« stammelte Karl.
»Meinen Segen sollen Sie haben!« fuhr der Gutspächter fort.
»Meine Kleine denkt gewiß nicht anders als ich, aber gefragt werden
muß sie. Reiten Sie getrost nach Hause. Ich werde sie gleich mal
ins Gebet nehmen. Wenn sie Ja sagt, – wohlverstanden! – brauchen
Sie jedoch nicht umzukehren. Wegen der Leute nicht, und auch weil
sie sich erst ein bißchen beruhigen soll. Damit Sie aber nicht zu
lange Blut schwitzen, will ich Ihnen ein Zeichen geben: ich werde
einen Fensterladen gegen die Mauer klappen lassen. Wenn Sie da oben
über die Hecke gucken, können Sie das ungesehen beobachten!«
Damit ging er.
Karl band seinen Schimmel an einen Baum; kletterte die Böschung
hinauf und stellt sich auf die Lauer, die Taschenuhr in der Hand.
Eine halbe Stunde verstrich – und dann noch neunzehn
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