Madame Bovary
des
Früchteeinmachens, und jedermann in Yonville bereitete sich am
selben Tag seinen Vorrat. Vor der Apotheke bewunderte man einen
besonders großen Haufen dieser ausgekochten Überreste. Man sah, daß
hier mit für die Allgemeinheit gesorgt wurde.
Emma trat in die Apotheke. Der große Lehnstuhl war umgeworfen,
und sogar der »Leuchtturm von Rouen« lag am Bodenzwischen zwei Mörserkeulen. Sie stieß die Tür zur
Flur auf und erblickte in der Küche – inmitten von großen braunen
Einmachetöpfen voll abgebeerter Johannisbeeren und Schüsseln mit
geriebenem und zerstückeltem Zucker, zwischen Wagen auf dem Tisch
und Kesseln über dem Feuer – die ganze Familie Homais, groß und
klein, alle in Schürzen, die bis zum Kinn gingen, Gabeln in den
Händen. Der Apotheker fuchtelte vor Justin herum, der gesenkten
Kopfes dastand, und schrie ihn eben an:
»Wer hat dir geheißen, was aus dem Kapernaum zu holen?«
»Was ist denn los? Was gibts?« fragte die Eintretende.
»Was los ist?« antwortete der Apotheker. »Ich mache hier
Johannisbeeren ein. Sie fangen an zu sieden, aber weil der Saft zu
dick ist, droht er mir überzukochen. Ich schicke nach einem andern
Kessel. Da geht dieser Mensch aus Bequemlichkeit, aus Faulheit hin
und nimmt aus meinem Laboratorium den dort an einem Nagel
aufgehängten Schlüssel zu meinem Kapernaum!«
Kapernaum nannte er nämlich eine Bodenkammer, in der er allerlei
Apparate und Material zu seinen Mixturen aufbewahrte. Oft hantierte
er da drinnen stundenlang ganz allein, mischte, klebte und packte.
Dieses kleine Gemach betrachtete er nicht als einen gewöhnlichen
Vorratsraum, sondern als ein wahres Heiligtum, aus dem, von seiner
Hand hergestellt, alle die verschiedenen Sorten von Pillen, Pasten,
Säften, Salben und Arzneien hervorgingen, die ihn in der ganzen
Gegend berühmt machten. Niemand durfte das Kapernaum betreten. Das
ging soweit, daß er es selbst ausfegte. Die Apotheke stand für
jedermann offen. Sie war die Stätte, wo er würdevoll amtierte. Aber
das Kapernaum war der Zufluchtsort, wo sich Homais selbst gehörte,
wo er sich seinen Liebhabereien und Experimenten hingab. Justins
Leichtsinn dünkte ihn deshalb eine unerhörte Respektlosigkeit, und
röter als seine Johannisbeeren, wetterte er:
»Natürlich! Ausgerechnet in mein Kapernaum!
Sich einfach den Schlüssel nehmen zu meinen Chemikalien! Und gar
meinen Reservekessel, den ich selber vielleicht niemals in Gebrauch
genommen hätte! Meinen Deckelkessel! In unsrer peniblen Kunst hat
auch der geringste Umstand die größte Wichtigkeit! Zum Teufel,
daran muß man immer denken! Man kann pharmazeutische Apparate nicht
zu Küchenzwecken verwenden! Das wäre gradeso, als wenn man sich mit
einer Sense rasieren wollte oder als wenn….«
»Aber so beruhige dich doch!« mahnte Frau Homais.
Und Athalia zupfte ihn am Rock.
»Papachen, Papachen!«
»Laßt mich!« erwiderte der Apotheker. »Zum Donnerwetter, laßt
mich! Dann wollen wir doch lieber gleich einen Kramladen eröffnen!
Meinetwegen! Immer zu! Zerschlag und zerbrich alles! Laß die
Blutegel entwischen! Verbrenn den ganzen Krempel! Mach saure Gurken
in den Arzneibüchsen ein! Zerreiß die Bandagen!«
»Sie hatten mir doch …«, begann Emma.
»Einen Augenblick! – Weißt du, mein Junge, was dir hätte
passieren können? Hast du links in der Ecke auf dem dritten
Wandbrett nichts stehn sehn? Sprich! Antworte! Gib mal einen Ton
von dir!«
»Ich … weiß … nicht«, stammelte der Lehrling.
»Ah, du weißt nicht! Freilich! Aber ich weiß es! Du hast da eine
Büchse gesehn, aus blauem Glas, mit einem gelben Deckel, gefüllt
mit weißem Pulver, und auf dem Schild steht, von mir eigenhändig
draufgeschrieben: `Gift! Gift! Gift!' Und weißt du, was da drin
ist? Ar – se – nik! Und so was rührst du an? Nimmst einen Kessel,
der daneben steht!«
»Daneben!« rief Frau Homais erschrocken und schlug die
Hände über dem Kopfe zusammen. »Arsenik!
Du hättest uns alle miteinander vergiften können!«
Die Kinder fingen an zu schreien, als spürten sie bereits die
schrecklichsten Schmerzen in den Eingeweiden.
»Oder du hättest einen Kranken vergiften können«, fuhr der
Apotheker fort. »Wolltest du mich gar auf die Anklagebank bringen,
vor das Schwurgericht? Wolltest du mich auf dem Schafott sehen?
Weißt du denn nicht, daß ich mich bei meinen Arbeiten kolossal in
acht nehmen muß, trotz meiner großen Routine darin? Oft wird mir
selber angst, wenn ich an meine Verantwortung
Weitere Kostenlose Bücher