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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Kutscher.
    »Fahren Sie irgendwohin!« befahl Leo und schob Emma in den
Wagen.
    Das schwerfällige Gefährt setzte sich in Bewegung.
    Der Kutscher fuhr durch die Großebrückenstraße, über den Platz
der Künste, den Kai Napoleon hinunter, über die Neue Brücke und
machte vor dem Denkmal Corneilles Halt.
    »Weiter fahren!« rief eine Stimme aus dem Inneren.
    Der Wagen fuhr weiter, rasselte den Abhang zum Lafayette-Platz
hinunter und bog dann schneller werdend nach dem Bahnhof ab.
    »Nein, geradeaus!« rief dieselbe Stimme.
    Der Wagen machte kehrt und fuhr nun, auf dem Ring angelangt, in
gemächlichem Trabe zwischen den alten Ulmen hin. Der Kutscher
trocknete sich den Schweiß von der Stirn, nahm seinen Lederhut
zwischen die Beine und lenkte sein Gefährt durch eine Seitenallee
dem Seine-Ufer zu, bis an die Wiesen. Dann fuhr er den Schifferweg
hin, am Strom entlang, über schlechtes Pflaster, nach Oyssel zu,
über die Inseln hinaus.
    Auf einmal fuhr er wieder flotter, durch Quatremares,
Sotteville, die große Chaussee hin, durch die Elbeuferstraße und
machte zum drittenmal Halt vor dem Botanischen Garten.
    »So fahren Sie doch weiter!« rief die Stimme, diesmal wütend.
Alsobald nahm der Wagen seine Fahrt wieder auf, fuhr durch Sankt
Sever über das Bleicher-Ufer und Mühlstein-Ufer, wiederum über die
Brücke, über den Exerzierplatz, hinten um den Spitalgarten herum,
wo Greise in schwarzen Kitteln auf der von Schlingpflanzen
überwachsenen Terrasse in der Sonne spazieren gingen. Dann führte
die Fahrt zum Boulevard Bouvreuil hinauf,
nach dem Causer Boulevard und dann den ganzen Riboudet-Berg hinan
bis zur Deviller Höhe.
    Wiederum ward kehrt gemacht, und nun begann eine Kreuz- und
Querfahrt ohne Ziel und Plan durch die Straßen und Gassen, über die
Plätze und Märkte, an den Kirchen und öffentlichen Gebäuden und am
Hauptfriedhof vorüber.
    Hin und wieder warf der Kutscher einen verzweifelten Blick vom
Bock herab nach den Kneipen. Er begriff nicht, welche Bewegungswut
in seinen Fahrgästen steckte, so daß sie nirgends Halt machen
wollten. Er versuchte es ein paarmal, aber jedesmal erhob sich
hinter ihm ein zorniger Ruf. Von neuem trieb er seine
warmgewordenen Pferde an und fuhr wieder weiter, unbekümmert, ob er
hier und dort anrannte, ganz außer Fassung und dem Weinen nahe vor
Durst, Erschlaffung und Traurigkeit.
    Am Hafen, zwischen den Karren und Fässern, in den Strassen und
an den Ecken machten die Bürger große Augen ob dieses in der
Provinz ungewohnten Anblicks: ein Wagen mir herabgelassenen
Vorhängen, der immer wieder auftauchte, bald da, bald dort, immer
verschlossen wie ein Grab.
    Einmal nur, im Freien, um die Mittagsstunde, als die Sonne am
heißesten auf die alten versilberten Laternen brannte, langte eine
bloße Hand unter den gelben Fenstervorhang heraus und streute eine
Menge Papierschnitzel hinaus, die im Winde flatterten wie weiße
Schmetterlinge und auf ein Kleefeld niederfielen.
    Gegen sechs Uhr abends hielt die Droschke in einem Gäßchen der
Vorstadt Beauvoisine. Eine dichtverschleierte Dame stieg heraus und
ging, ohne sich umzusehen, weiter.

Kapitel 2
     
    Wieder im Gasthofe, war Frau Bovary sehr erstaunt, die Post
nicht mehr vorzufinden. Hivert hatte dreiundfünfzig Minuten auf
Emma gewartet, schließlich aber war er abgefahren.
    Es war zwar nicht unbedingt erforderlich, daß sie wieder zu
Hause sein mußte. Aber sie hatte versprochen, an diesem Abend
zurückzukehren. Karl erwartete sie also, und so fühlte sie jene
feige Untertänigkeit im Herzen, die für viele Frauen die Strafe und
zugleich der Preis für den Ehebruch ist.
    Sie packte schnell ihren Koffer, bezahlte die Rechnung und nahm
einen der zweirädrigen Wagen, die im Hofe bereitstanden. Unterwegs
trieb sie den Kutscher zu größter Eile an, fragte aller Augenblicke
nach der Zeit und nach der zurückgelegten Kilometerzahl und holte
die Post endlich bei den ersten Häusern von Quincampoix ein.
    Kaum saß sie drin, so schloß sie auch schon die Augen. Als sie
erwachte, waren sie schon über den Berg, und von weitem sah sie
Felicie, die vor dem Hause des Schmiedes auf sie wartete. Hivert
hielt seine Pferde an, und das Mädchen, das sich bis zum Fenster
hinaufreckte, flüsterte ihr geheimnisvoll zu:
    »Gnädige Frau sollen gleich mal zu Herrn Apotheker kommen! Es
handelt sich um etwas sehr Dringliches!«
    Das Dorf war still wie immer. Vor den Häusern lagen kleine
dampfende, rosafarbige Haufen. Es war die Zeit

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