Madame Bovary
nur
weiter!«
»Nein, nein! Ich stümpere. Meine Finger sind zu steif
geworden.«
Am andern Tag bat er sie, ihm wieder etwas vorzuspielen.
»Meinetwegen! Wenn es dir Spaß macht.«
Karl gab zu, daß sie ein wenig aus der Übung sei. Sie griff
daneben, blieb stecken, und plötzlich hörte sie auf zu spielen.
»Ach, es geht nicht, ich müßte wieder Stunden nehmen, aber….«
Sie biß sich in die Lippen und fügte hinzu: »Zwanzig Franken für
die Stunde, das ist zu teuer.«
»Allerdings … ja….«, sagte Karl und lächelte einfältig, »aber es
gibt doch auch unbekannte Künstler, die billiger und manchmal
besser sind als die Berühmtheiten.«
»Such mir einen!« sagte Emma.
Am andern Tag, als er heimkam, sah er sie mit pfiffiger Miene an
und sagte schließlich:
»Was du dir so manchmal in den Kopf setzt! Ich war heute in
Barfeuchères, und da hat mir Frau Liégeard erzählt, daß ihre drei
Töchter für zwölf Groschen die Stunde bei einer ganz vortrefflichen
Lehrerin Klavierunterricht haben.«
Emma zuckte mit den Achseln und öffnete fortan nicht mehr das
Klavier. Aber wenn sie in Karls Gegenwart daran vorbeiging, seufzte
sie allemal:
»Ach, mein armes Klavier!«
Wenn Besuch da war, erzählte sie jedermann, daß sie die Musik
aufgegeben und höheren Rücksichten geopfert habe. Dann beklagte man
sie. Es sei schade. Sie hätte soviel Talent. Man machte ihrem Manne
geradezu Vorwürfe, und der Apotheker sagte ihm eines Tages:
»Es ist nicht recht von Ihnen. Man darf die Gaben, die einem die
Natur verliehen, nicht brachliegen lassen. Außerdem
sparen Sie, wenn Sie Ihre Frau jetzt
Stunden nehmen lassen, später bei der musikalischen Erziehung Ihrer
Tochter. Ich finde, die Mütter sollten ihre Kinder immer selbst
unterrichten. Das hat schon Rousseau gesagt, so neu uns diese
Forderung auch anmutet. Aber das wird dermaleinst doch Sitte, genau
wie die Ernährung der Säuglinge durch die eigenen Mütter und wie
die Schutzpockenimpfung! Davon bin ich überzeugt!«
Infolgedessen kam Karl noch einmal gesprächsweise auf diese
Angelegenheit zurück. Emma erwiderte ärgerlich, daß es besser wäre,
das Instrument zu verkaufen. Dagegen verwahrte sich Bovary. Das kam
ihm wie die Preisgabe eines Stückes von sich selbst vor. Das brave
Klavier hatte ihm so oft Vergnügen bereitet und ihn einst so stolz
und eitel gemacht!
»Wie wäre es denn,« schlug er vor, »wenn du hin und wieder eine
Stunde nähmst? Das wird uns wohl nicht gleich ruinieren!«
»Unterricht hat nur Zweck, wenn er regelmäßig erfolgt«,
entgegnete sie.
Und so kam es schließlich dahin, daß sie von ihrem Gatten die
Erlaubnis erhielt, jede Woche einmal in die Stadt zu fahren, um den
Geliebten zu besuchen. Schon nach vier Wochen fand man, sie habe
bedeutende Fortschritte gemacht.
Kapitel 5
An jedem Donnerstag stand Emma zeitig auf und zog sich
geräuschlos an, um Karl nicht aufzuwecken, der ihr Vorwürfe wegen
ihres zu frühen Aufstehens gemacht hätte. Dann lief sie in ihrem
Zimmer herum, stellte sich ans Fenster und sah auf den Marktplatz
hinaus. Das Morgengrauen huschte um die Pfeiler der Hallen und um
die Apotheke, deren Fensterläden noch geschlossen waren. Die großen
Buchstaben des Ladenschildes ließen sich durch das fahle
Dämmerlicht erkennen.
Wenn die Stutzuhr ein viertel acht Uhr zeigte, ging Emma nach
dem Goldnen Löwen. Artemisia öffnete ihr gähnend die Tür und fachte
der gnädigen Frau wegen im Herde die glühenden Kohlen an. Ganz
allein saß Emma dann in der Küche.
Von Zeit zu Zeit ging sie hinaus. Hivert spannte höchst
gemächlich die Postkutsche an, wobei er der Witwe Franz zuhörte,
die in der Nachthaube oben zu ihrem Schlafstubenfenster heraussah
und ihm tausend Aufträge und Verhaltungsmaßregeln erteilte, die
jeden andern Kutscher verrückt gemacht hätten. Die Absätze von
Emmas Stiefeletten klapperten laut auf dem Pflaster des Hofes.
Nachdem Hivert seine Morgensuppe eingenommen, sich den Mantel
angezogen, die Tabakspfeife angezündet und die Peitsche in die Hand
genommen hatte, kletterte er saumselig auf seinen Bock.
Langsam fuhr die Post endlich ab. Anfangs machte sie allerorts
Halt, um Reisende aufzunehmen, die an der Straße vor den Hoftoren
standen und warteten. Leute, die sich Plätze vorbestellt hatten,
ließen meist auf sich warten; ja es kam vor, daß sie noch in ihren
Betten lagen. Dann rief, schrie und fluchte Hivert, stieg von
seinem Sitz herunter und pochte mit den Fäusten laut
gegen die
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