Madame Bovary
ihrem Warten auf die Briefe. Aber dann war
das alles vergessen. Sie sahen sich von Auge zu Auge, unter dem
Lächeln der Wollust und unter dem Geflüster der Zärtlichkeit.
Das Bett war aus Mahagoni und sehr groß. Zu beiden Seiten des
Kopfkissens hingen rotseidne weitbauschige Vorhänge herab. Wenn
sich Emmas braunes Haar und ihre weiße Haut von diesem Purpurrot
abhoben, wenn sie ihre beiden nackten Arme verschämt hob und ihr
Gesicht in den Händen verbarg: was hätte Leo Schönres schauen
können?
Das warme Zimmer mit seinem weichen Teppich, seiner netten
Einrichtung und seinem traulichen Lichte war wie geschaffen zu
einer heimlichen Liebe. Wenn die Sonne hereinschien, funkelte
alles, was blank im Gemache war, hell auf: die Messingbeschläge an
der Tür, an den Gardinenhaltern und am Kamin.
Sie liebten diesen Raum, wenn seine Herrlichkeit auch
ein wenig verblichen war. Jedesmal, wenn
sie kamen, fanden sie alles so vor, wie sie es verlassen. Mitunter
lagen sogar die Haarnadeln noch auf dem Sockel der Standuhr, wo
Emma sie am Donnerstag vorher liegen gelassen hatte.
Das Frühstück pflegten sie am Kamin an einem kleinen eingelegten
Tisch aus Polisanderholz einzunehmen. Emma machte alles zurecht und
legte Leo jeden Bissen einzeln auf den Teller, unter tausend süßen
Torheiten. Wenn der Sekt ihr über den Rand des dünnen Kelches auf
die Finger perlte, lachte sie lustig auf. Sie waren beide in den
gegenseitigen Genuß versunken und vergaßen völlig, daß sie in einer
Mietwohnung hausten. Es war Ihnen, als wären sie Jungvermählte und
hätten ein gemeinsames Heim, das sie nie wieder zu verlassen
brauchten. Sie sagten »unser Zimmer, unser Teppich, unsre Stühle,«
wie sie »unsre Pantoffeln« sagten, wobei sie die meinten, die Leo
Emma geschenkt hatte: Pantoffeln aus rosa Atlas mit
Schwanflaumbesatz. Emma trug sie über den nackten Füßen. Wenn sie
sich Leo auf die Knie setzte, pendelte sie mir ihren Beinen und
balancierte die zierlichen Schuhe mit den großen Zehen.
Zum ersten Male in seinem Leben genoß er den unbeschreiblichen
Reiz einer mondänen Liebschaft. Alles war ihm neu: diese
entzückende Art zu plaudern, dieses verschämte Sichentblößen,
dieses schmachtende Girren. Er bewunderte ihre verzückte
Sinnlichkeit und zugleich die Spitzen ihres Unterrockes. Er hatte
eine schicke Dame der Gesellschaft zur Geliebten, eine verheiratete
Frau…. Was hätte er mehr haben wollen?
Durch den fortwährenden Wechsel in ihren Launen, die sie bald
tiefsinnig, bald ausgelassen machten, bald redselig, bald
schweigsam, bald überschwenglich, bald blasiert, rief und reizte
Emma in ihm tausend Lüste, Gefühle und Reminiszenzen. Die Heldinnen
aller Romane, die er je gelesen, aller Dramen, die er je gesehen, erstanden in ihr wieder. Ihr galten alle
Gedichte der Welt. Ihre Schultern hatten den Bernsteinteint der
»Badenden Odaliske«, ihr schlanker Leib gemahnte ihn an die edlen
Vrouwen der Minnesänger, und ihr blasses Gesicht glich denen, die
spanische Meister verewigt hatten. Sie war ihm mehr als alles das:
sie war sein »Engel«.
Oft, wenn er sie anblickte, war es ihm, als ergösse sich seine
Seele über sie und fließe wie eine Welle über ihr Antlitz und von
da herab wie ein Strom auf ihre weiße Brust. Er sank ihr zu Füßen
auf den Teppich, schlang beide Arme um ihre Knie, sah zu ihr empor
und schaute sie lächelnd an. Und sie neigte sich zu ihm herab und
flüsterte wie im Rausche:
»O rühr dich nicht! Sprich nicht! Sieh mich an! Es ist etwas
Liebes, Süßes in deinen Augen, das ich so gern habe!«
Sie nannte ihn »mein Junge«.
»Mein Junge, liebst du mich?«
Er bestürmte sie mit Küssen. Eine andre Antwort begehrte sie
nicht.
Auf der Stutzuhr spreizte sich ein kleiner kecker Amor aus
Bronze, der in seinen erhobenen Armen eine vergoldete Girlande
trug. Er machte ihnen viel Spaß. Nur wenn die Trennungsstunde
schlug, kam ihnen alles ernsthaft vor.
Unbeweglich standen sie einander gegenüber, und immer
wiederholten sie:
»Auf Wiedersehn! Nächsten Donnerstag!«
Plötzlich nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände, küßte
ihn rasch auf die Stirn, und mit einem »Adieu!« stürmte sie die
Treppe hinunter.
Zunächst ging sie jedesmal zum Friseur in der Theaterstraße und
ließ sich ihr Haar in Ordnung bringen. Es war schon spät. Im Laden
brannten bereits die Gasflammen. Sie hörte das Klingeln drüben im Theater, das dem Personal den
Beginn der Vorstellung anzeigte. Durch die Scheiben sah sie,
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