Madame Bovary
des reichlichen
Frühstücks. Unentschlossen stand er da, während Homais immer wieder
in ihn drang:
»Kommen Sie nur mit! Wir gehn zu Bridoux! Er wohnt keine hundert
Schritte von hier! Rue Malpalu!«
Diese Aufforderung wirkte wie eine Suggestion. Aus Feigheit oder
Narrheit oder aus jenem merkwürdigen Drange, der den Menschen
mitunter zu Handlungen bewegt, die seinem eigentlichen Willen
zuwiderlaufen, ließ sich Leo zu Bridoux führen. Sie fanden ihn in
dem kleinen Hofe seines Hauses, wo er drei Burschen beaufsichtigte,
die das große Rad einer Selterwasserzubereitungsmaschine drehten.
Nach einer herzlichen Begrüßung gab Homais seinem Kollegen
Ratschläge. Dann trank man den Bittern. Leo war hundertmal im
Begriffe, sich zu empfehlen, aber Homais hielt ihn immer wieder
fest, indem er sagte:
»Gleich! Gleich! Ich gehe ja mit! Wir wollen nun mal in den
`Leuchtturm von Rouen'! Dem Redakteur guten Tag sagen. Ich mache
Sie mit ihm bekannt, mit Herrn Thomassin.«
Trotzdem machte sich Leo endlich los und eilte wiederum in den
Boulogner Hof. Emma war nicht mehr da. Im höchsten Grade
aufgebracht, war sie fortgegangen. Jetzt haßte sie Leo. Das
Stelldichein zu versäumen, das faßte sie als Beschimpfung auf! Nun
suchte sie nach noch andern Gründen, mit ihm zu brechen. Er sei eines höheren Aufschwungs unfähig,
schwach, banal, feminin, dazu knickerig und kleinmütig.
Dann wurde sie ruhiger; sie sah ein, daß sie ihn schlechter
machte, als er war. Aber das Herabzerren eines Geliebten hinterläßt
immer gewisse Spuren. Man darf ein Götzenbild nicht berühren: die
Vergoldung bleibt einem an den Fingern kleben.
Fortan unterhielten sie sich immer häufiger von Dingen, die
nichts mit ihrer Liebe zu tun hatten. In den Briefen, die ihm Emma
schrieb, war die Rede von Blumen, Versen, vom Mond und den Sternen,
mit einem Worte von allen den primitiven Requisiten, die eine
mattgewordne Leidenschaft aufbaut, um den Schein aufrecht zu
erhalten. Immer wieder erhoffte sie sich von dem nächsten
Beieinandersein die alte Glückseligkeit, aber hinterher gestand sie
sich jedesmal, daß sie nichts davon gespürt hatte. Diese
Enttäuschung wandelte sich trotzdem in neues Hoffen. Emma kam immer
wieder zu Leo voll Begehren und sinnlicher Erregung. Sie warf die
Kleider ab und riß das Korsett herunter, dessen Schnuren ihr um die
Hüften schlugen wie zischende Schlangen. Mit nackten Füßen lief sie
an die Tür und überzeugte sich, daß sie verriegelt war. Mit einer
hastigen Bewegung entledigte sie sich dann des Hemdes – und bleich,
stumm, ernst und von Schauern durchströmt, warf sie sich in seine
Arme.
Aber auf ihrer von kaltem Schweiß beperlten Stirn, auf ihren
stöhnenden Lippen, in ihren irren Augen, in ihrer wilden Umarmung
lebte etwas Unheimliches, Feindseliges, Todtrauriges. Leo fühlte
es. Es hatte sich eingeschlichen, um sie zu trennen.
Ohne daß er darnach zu fragen wagte, kam er ferner zu der
Erkenntnis, daß die Geliebte alle Prüfungen der Lust und des Leids
schon einmal an sich selber erfahren haben mußte. Was ihn dereinst
entzückt hatte, das flößte ihm jetzt Grauen ein.
Dazu kam, daß er gegen die täglich
zunehmende Vergewaltigung seiner Person rebellierte. Er grollte ihr
ob ihrer immer neuen Siege. Oft zwang er sich, kalt zu bleiben,
aber wenn er sie dann auf sich zukommen sah, ward er doch wieder
schwach, wie ein Absinthtrinker, den das grüne Gift immer wieder
verführt.
Allerdings wandte sie alle Liebeskünste an: von ausgesuchten
Genüssen bei Tisch bis zu den Raffinements der Kleidung und den
schmachtendsten Zärtlichkeiten. Sie brachte aus ihrem Garten Rosen
mit, die sie an der Brust trug und ihm ins Gesicht warf. Sie sorgte
sich um seine Gesundheit und gab ihm gute Ratschläge, wie er leben
solle. Abergläubisch schenkte sie ihm ein Amulett mit einem
Madonnenbildchen. Wie eine ehrsame Mutter erkundigte sie sich nach
seinen Freunden und Bekannten.
»Laß sie! Geh nicht aus! Denk nur an mich und bleib mir
treu!«
Am liebsten hätte sie ihn überwacht oder gar überwachen lassen.
Mitunter kam ihr letzteres in den Sinn. Es trieb sich in der Nähe
des Boulogner Hofes regelmäßig ein Tagedieb herum, der dies wohl
übernommen hätte. Aber ihr Stolz hielt sie davon ab.
»Mag er mich hintergehen! Dann ist er eben nichts wert! Was
tuts? Ich halte ihn nicht!«
Eines Tages ging sie zeitiger von ihm weg als gewöhnlich. Als
sie allein den Boulevard hinschlenderte, bemerkte sie die Mauer
ihres Klosters. Da setzte
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