Madame Bovary
du mein Gott!« rief Karl aus. »Siehst du, Mutter, es war
doch nicht recht von dir! Du darfst ihr nicht so zusetzen!«
Sie zuckte mit den Achseln. Das sei alles
»bloß Tuerei!«
Da lehnte sich Karl zum ersten Male in seinem Leben gegen sie
auf und vertrat Emma so nachdrücklich, daß die alte Frau erklärte,
sie werde abreisen. In der Tat tat sie das andern Tags. Als Karl
sie noch einmal auf der Schwelle zum Bleiben überreden wollte,
erwiderte sie:
»Nein, nein! Du liebst sie mehr als mich, und das ist ja ganz in
der Ordnung! Wenn es auch dein Nachteil ist. Du wirst ja sehen….
Laß dirs wohl gehn! Ich werde ihr nicht sogleich wieder – sozusagen
– zusetzen!«
Nicht weniger als armer Sünder stand er dann vor Emma, die ihm
erbittert vorwarf, er habe kein Vertrauen mehr zu ihr. Er mußte
erst lange bitten, ehe sie sich herabließ, eine neue
Generalvollmacht anzunehmen. Er begleitete sie zu Guillaumin, der
sie ausstellen sollte.
»Sehr begreiflich!« meinte der Notar. »Ein Mann der Wissenschaft
darf sich durch die Alltagsdinge nicht ablenken lassen.«
Karl fühlte sich durch diese im väterlichen Tone vorgebrachte
Weisheit wieder aufgerichtet. Sie bemäntelte seine Schwachheit mit
der schmeichelhaften Entschuldigung, er sei mit höheren Dingen
beschäftigt.
Am Donnerstag darauf, in ihrem Zimmer im Boulogner Hofe, in Leos
Armen war sie über die Maßen ausgelassen. Sie lachte, weinte, sang,
tanzte, ließ sich Sorbett heraufbringen und rauchte Zigaretten. So
überschwenglich sie ihm auch vorkam, er fand sie doch köstlich und
bezaubernd. Er ahnte nicht, daß es in ihrem Innern gärte und daß
sie sich aus diesem Motiv kopfüber in den Strudel des Lebens
stürzte. Sie war reizbar, unersättlich, wollüstig geworden.
Erhobenen Hauptes ging sie mit Leo durch die Straßen der Stadt
spazieren, ohne die geringste Angst, daß sie ins Gerede kommen
könnte. So sagte sie wenigstens. Insgeheim
erzitterte sie freilich mitunter bei dem Gedanken, Rudolf könne ihr
einmal begegnen. Wenn sie auch auf immerdar von ihm geschieden war,
so fühlte sie sich doch noch immer in seinem Banne.
Eines Abends kam sie nicht nach Yonville zurück. Karl war außer
sich vor Unruhe, und die kleine Berta, die ohne ihre »Mama« nicht
ins Bett gehen wollte, schluchzte herzzerreißend. Justin wurde auf
der Poststraße entgegengesandt, und selbst Homais verließ seine
Apotheke.
Als es elf Uhr schlug, hielt es Karl nicht mehr aus. Er spannte
seinen Wagen an, sprang auf den Bock, hieb auf sein Pferd los und
langte gegen zwei Uhr morgens im »Roten Kreuz« an. Emma war nicht
da. Er dachte, vielleicht könne der Adjunkt sie gesehen haben, aber
wo wohnte er? Glücklicherweise fiel ihm die Adresse des Notars ein,
bei dem Leo in der Kanzlei arbeitete. Er eilte hin.
Es begann zu dämmern. Er erkannte das Wappenschild über der Tür
und klopfte an. Ohne daß ihm geöffnet ward, erteilte ihm jemand die
gewünschte Auskunft, nicht ohne auf den nächtlichen Ruhestörer zu
schimpfen.
Das Haus, in dem der Adjunkt wohnte, besaß weder einen
Türklopfer noch eine Klingel noch einen Pförtner. Karl schlug mit
der Faust gegen einen Fensterladen. Ein Schutzmann ging vorüber.
Karl bekam Angst und ging davon.
»Ich bin ein Narr!« sagte er zu sich. »Wahrscheinlich haben
Lormeaux' sie gestern abend zu Tisch dabehalten!«
Die Familie Lormeaux wohnte gar nicht mehr in Rouen.
»Vielleicht ist sie bei Frau Dübreuil. Die ist vielleicht
krank…. Ach nein, Frau Dübreuil ist ja schon vor einem halben Jahre
gestorben…. Aber wo mag dann Emma nur sein?«
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er ließ sich in einem Café das
Adreßbuch geben und suchte rasch nach dem Namen von
Fräulein Lempereur. Sie wohnte Rue de la
Renelle des Maroquiniers Nummer 74.
Als er in diese Straße einbog, tauchte Emma am andern Ende auf.
Er stürzte auf sie los und fiel ihr um den Hals.
»Was hat dich denn gestern hier zurückgehalten?« rief er.
»Ich war krank.«
»Was fehlte dir denn? … Na und wo … Wie?«
Sie fuhr mit der Hand über die Stirn und antwortete:
»Bei Fräulein Lempereur.«
»Das dachte ich mir doch gleich. Ich war auf dem Weg zu
ihr.«
»Die Mühe kannst du dir nun ersparen. Sie ist übrigens schon
ausgegangen. In Zukunft rege dich aber nicht wieder so auf! Du
kannst dir denken, daß ich mich nicht gar frei fühle, wenn ich
weiß, daß dich die geringste Verspätung dermaßen aus dem
Gleichgewicht bringt!«
Das war eine Art Erlaubnis, die sie sich selbst
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