Madame Bovary
Kräfte verließen unter der
ewigen Monotonie der Gebete und der Lichter, inmitten des faden
Geruchs von Wachs und Meßgewändern. Ein frischer Wind wehte
herüber. Roggen und Raps grünten, und Tautropfen zitterten auf den
Dornenhecken am Wege. Allerlei fröhliche Laute erfüllten die Luft:
das Quietschen eines kleinen Wagens in der Ferne auf zerfahrener
Straße, das wiederholte Krähen eines Hahnes oder der Galopp eines
Füllens, das sich unter den Apfelbäumen austobte. Der klare Himmel
war mit rosigen Wölkchen betupft. Bläuliche Lichter spielten um die
Schwertlilien vor den Häusern und Hütten. Karl erkannte
im Vorbeigehen jeden einzelnen Hof. Er
entsann sich eines bestimmten Morgens, an dem er, einen Kranken zu
besuchen, hier vorübergekommen war, erst hin und dann auf dem
Rückwege zu »ihr«.
Manchmal flatterte das schwarze mit silbernen Tränen bestickte
Leichentuch auf und ließ den Sarg sehen. Die ermüdeten Träger
verlangsamten den Schritt. Die Bahre schwankte fortwährend wie eine
Schaluppe auf bewegter See.
Endlich war man da.
Die Träger gingen bis ganz hinter, bis zu einer Stelle im Rasen,
wo das Grab gegraben war. Man stellte sich im Kreis herum auf.
Während der Priester sprach, rieselte die rote, an den Seiten
aufgehäufte Erde über die Kanten hinweg in die Grube, lautlos und
ununterbrochen.
Dann wurden die vier Seile zurechtgelegt und der Sarg darauf
gehoben. Karl sah ihn hinabgleiten … tiefer … immer tiefer.
Endlich hörte man ein Aufschlagen. Die Seile kamen geräuschvoll
wieder hoch. Bournisien nahm den Spaten, den ihm Lestiboudois
reichte. Und während er mit der rechten Hand den Weihwedel schwang,
warf er wuchtig mit der linken eine volle Schaufel Erde ins Grab.
Der Sand und die Steinchen polterten auf den Sarg, und das Geräusch
dröhnte Karl in die Ohren, unheimlich wie ein Widerhall aus der
Ewigkeit.
Der Priester gab die Schaufel an seinen Nachbar weiter. Es war
Homais. Würdevoll füllte und leerte er sie und reichte sie dann
Karl, der auf die Knie sank, mit vollen Händen Erde hinabwarf und
»Lebe wohl!« rief. Er sandte ihr Küsse und beugte sich über das
Grab, als ob er sich hinabstürzen wollte.
Man führte ihn fort. Er beruhigte sich sehr bald. Offenbar
empfand er gleich den andern eine merkwürdige Befriedigung, daß
alles überstanden war.
Auf dem Heimwege zündete sich Vater Rouault
ruhig seine Pfeife an, was Homais insgeheim nicht besonders
schicklich fand. Er berichtete, daß Binet nicht zugegen gewesen
war, daß sich Tüvache nach der Messe »gedrückt« hatte und daß
Theodor, der Diener des Notars, einen blauen Rock getragen hatte,
»als ob nicht ein schwarzer aufzutreiben gewesen wäre, da es nun
einmal so üblich ist, zum Teufel!« So hechelte er alles durch, was
er beobachtet hatte.
Alle andern beklagten Emmas Tod, besonders Lheureux, der nicht
verfehlt hatte, zum Begräbnis zu erscheinen.
»Die arme, liebe Frau! Welch ein Schlag für ihren Mann!«
Der Apotheker antwortete:
»Wissen Sie, wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er aus
Verzweiflung Selbstmord begangen.«
»Sie war immer so liebenswürdig! Wenn ich bedenke, daß sie
vorigen Sonnabend noch in meinem Laden war!«
»Ich hatte nur keine Zeit,« sagte der Apotheker, »sonst hätte
ich mich gern auf ein paar Worte vorbereitet, die ich ihr ins Grab
nachgerufen hätte!«
Wieder im Hause, kleidete sich Karl um, und der alte Rouault zog
seine blaue Bluse wieder an. Sie war neu, und da er sich unterwegs
öfters die Augen mit dem Ärmel gewischt hatte, hatte sie
Farbenspuren auf seinem staubbedeckten Gesicht hinterlassen. Man
sah, wo die Tränen herabgerollt waren.
Die alte Frau Bovary setzte sich zu ihnen. Alle drei schwiegen.
Endlich sagte Vater Rouault mit einem Seufzer:
»Erinnerst du dich noch, mein lieber Karl, wie ich damals nach
Tostes kam, als du deine erste Frau verloren hattest? Damals
tröstete ich dich, damals fand ich Worte! Jetzt aber….« Er stöhnte
tief auf, wobei sich seine ganze Brust hob. »Ach, nun ist es
aus mit mir! Ich habe meine Frau sterben
sehen … dann meinen Sohn … und heute meine Tochter!«
Er bestand darauf, noch am selben Tage nach Bertaux
zurückzureiten. In diesem Hause könne er nicht schlafen. Auch seine
Enkelin wollte er nicht sehen.
»Nein! Nein! Das würde mich zu traurig machen! Aber küsse sie
mir ordentlich! Lebe wohl! Du bist ein braver Junge! Und das hier,«
er schlug auf sein Bein, »das werde ich dir nie vergessen. Hab
keine Bange! Und euren
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