Madame Bovary
ihm, als höre er das
Jodeln der lustigen Burschen, die unter den Apfelbäumen tanzten bei
seiner Hochzeitsfeier. Wie hatte das Brautgemach nach ihrem Haar
geduftet! Wie hatte ihr Atlaskleid in seinen Armen geknistert, wie
sprühende Funken! Dasselbe Kleid! Damals und heute!
Langsam zog sein ganzes einstiges Glück noch einmal an ihm
vorüber. Er sah sie vor sich in ihren eigentümlichen Bewegungen,
ihrer Haltung, ihrem Gang. Er hörte den Klang ihrer Stimme. Immer
wieder brandete die Verzweiflung an ihn heran, unaufhörlich,
unversiegbar wie die Flut des Meeres am Strande.
Eine gräßliche Neugier überkam ihn. Langsam und klopfenden
Herzens hob er mit den Fingerspitzen den Schleier. Aber da schrie
er vor Schrecken laut auf, und die beiden andern Männer erwachten.
Sie zogen ihn fort und führten ihn hinunter in die Große Stube.
Bald darauf kam Felicie und richtete aus, Bovary wolle vom Haar
der Toten haben.
»Schneiden Sie ihr welches ab!« befahl der Apotheker.
Da sie sichs nicht getraute, trat er selbst mit der Schere
heran. Er zitterte so stark, daß er die Haut an der Schläfe an
mehreren Stellen ritzte. Endlich raffte er sich zusammen und
schnitt blindlings zwei- oder dreimal zu.
Es entstanden ein paar kahle Stellen mitten in dem schönen
schwarzen Haar der Toten.
Der Apotheker und der Pfarrer versenkten sich wieder in ihre
Bücher, nicht ohne von Zeit zu Zeit einzunicken. Jedesmal, wenn sie
wieder erwachten, warfen sie es sich gegenseitig vor. Der Pfarrer
besprengte das Zimmer mit Weihwasser, und Homais schüttete ein
wenig Chlor auf die Dielen.
Felicie hatte für sie gesorgt und auf der Kommode eine Flasche
Branntwein, Käse und ein langes Weißbrot bereitgestellt. Gegen vier
Uhr früh hielt es der Apotheker nicht mehr aus. Er seufzte:
»Wahrhaftig. Eine Stärkung wäre nicht übel!«
Der Priester hatte durchaus nichts dagegen. Er ging aber erst
die Messe lesen. Als er wieder zurückkam, aßen und tranken beide,
wobei sie sich angrinsten, ohne recht zu wissen warum, verführt von
der sonderbaren Fröhlichkeit, die den Menschen nach überstandenen
Trauerakten ergreift. Beim letzten Gläschen klopfte der Priester
dem Apotheker auf die Schulter und sagte:
»Wir werden uns am Ende noch verstehen!«
In der Hausflur begegneten sie den Leuten, die den Sarg
brachten. Zwei Stunden lang mußte sich Karl von den Hammerschlägen
martern lassen, die von den Brettern zu ihm hallten. Dann legte man
die Tote in den Sarg aus Eichenholz und diesen in die beiden
andern. Aber da der letzte zu breit war, füllte man die Hohlräume
mit Werg aus einer Matratze. Als der letzte Deckel zurechtgehobelt
und vernagelt war, stellte man den Sarg vor die Tür. Das Haus ward
weit geöffnet, und die Leute von Yonville begannen
herbeizuströmen.
Der alte Rouault kam an. Als er das Sargtuch sah, wurde er
mitten auf dem Markte ohnmächtig.
Kapitel 11
Rouault hatte den Brief des Apothekers sechsunddreißig Stunden
nach dem Ereignis erhalten. Um ihn zu schonen, hatte Homais so
geschrieben, daß er gar nicht genau wissen konnte, was eigentlich
geschehen war.
Der gute Mann war zunächst wie vom Schlag gerührt umgesunken.
Dann sagte er sich, sie könne wohl tot sein, aber sie könne auch
noch leben…. Schließlich hatte er seine Bluse angezogen, seinen Hut
aufgesetzt, Sporen an die Stiefel geschnallt und war im Galopp
weggeritten. Den ganzen Weg über verging er beinahe vor Angst.
Einmal mußte er sogar absitzen. Er sah nichts mehr, er hörte
Stimmen ringsum und glaubte, er verlöre den Verstand.
Der Tag brach an. Er sah drei schwarze Hennen, die auf einem
Baum schliefen. Er erbebte vor Schreck über diese böse
Vorbedeutung. Schnell gelobte er der Madonna drei neue Meßgewänder
für ihre Kirche und eine Wallfahrt in bloßen Füßen vom heimatlichen
Kirchhof bis zur Kapelle von Vassonville.
In Maromme, wo er rastete, brüllte er die Leute im Gasthof
munter, rannte mit der Schulter die Haustür ein, stürzte sich auf
einen Hafersack, goß in die Krippe eine Flasche Apfelsekt, setzte
sich wieder auf seinen Gaul und trabte von neuem los, daß die
Funken stoben.
Immer wieder sagte er sich, daß man sie sicher retten würde. Die
Ärzte hätten schon Mittel. Er erinnerte sich aller wunderbaren
Heilungen, die man ihm je erzählt hatte. Dann aber sah er sie tot.
Sie lag auf dem Rücken vor ihm, mitten auf der Straße. Er riß in
die Zügel. Da schwand die Erscheinung.
In Quincampoix trank er, um sich Mut zu machen,
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