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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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nach.
    Im Kloster gab es nun eine alte Jungfer, die sich aller vier
Wochen auf acht Tage einstellte, um die Wäsche auszubessern. Da sie
einer alten Adelsfamilie entstammte, die in der Revolution zugrunde
gegangen war, wurde sie von der Geistlichkeit begönnert. Sie aß mit
im Refektorium, an der Tafel der frommen Schwestern, und pflegte
mit ihnen nach Tisch ein Plauderstündchen zu machen, bevor sie
wieder an ihre Arbeit ging. Oft geschah es auch, daß sich die
Pensionärinnen aus der Arbeitsstube stahlen und die Alte
aufsuchten. Sie wußte galante Chansons aus dem 
ancien
régime
 auswendig und sang ihnen welche halbleise vor,
ohne dabei ihre Flickarbeit zu vernachlässigen. Sie erzählte
Geschichten, wußte stets Neuigkeiten, übernahm allerhand
Besorgungen in der Stadt und lieh den größeren Mädchen Romane, von
denen sie immer ein paar in den Taschen ihrer Schürze bei sich
hatte. In den Ruhepausen ihrer Tätigkeit verschlang das gute
Fräulein selber schnell ein paar Kapitel. Darin wimmelte es von
Liebschaften, Liebhabern, Liebhaberinnen, von verfolgten Damen, die
in einsamen Pavillonen ohnmächtig, und von Postillionen, die an
allen Ecken und Enden gemordet wurden, von edlen Rossen, die man
auf Seite für Seite zuschanden ritt, von düsteren Wäldern,
Herzenskämpfen, Schwüren, Schluchzen, Tränen und Küssen, von
Gondelfahrten im Mondenschein, Nachtigallen in den Büschen, von
hohen Herren, die wie Löwen tapfer und sanft wie Bergschafe waren,
dabei tugendsam bis ins Wunderbare, immer köstlich gekleidet und
ganz unbeschreiblich tränenselig. Ein halbes Jahr lang beschmutzte
sich die fünfzehnjährige Emma ihre Finger mit dem Staube dieser
alten Scharteken. Dann geriet ihr Walter Seott in die Hände, und
nun berauschte sie sich an geschichtlichen
Begebenheiten im Banne von Burgzinnen, Rittersälen und
Minnesängern. Am liebsten hätte sie in einem alten Herrensitze
gelebt, gehüllt in schlanke Gewänder wie jene Edeldamen, die, den
Ellenbogen auf den Fensterstein gestützt und das Kinn in der Hand,
unter Kleeblattbogen ihre Tage verträumten und in die Fernen der
Landschaft hinausschauten, ob nicht ein Rittersmann mit weißer
Helmzier dahergestürmt käme auf einem schwarzen Roß. Damals trieb
sie einen wahren Kult mit Maria Stuart; ihre Verehrung von
berühmten oder unglücklichen Frauen ging bis zur Schwärmerei. Die
Jungfrau von Orleans, Heloise, Agnes Sorel, die schöne Ferronnière
und Clemence Isaure leuchteten wie strahlende Meteore in dem
grenzenlosen Dunkel ihrer Geschichtsunkenntnisse. Fast ganz im
Lichtlosen und ohne Beziehungen zueinander schwebten ferner in
ihrer Vorstellung: der heilige Ludwig mit seiner Eiche, der
sterbende Ritter Bayard, ein paar grausame Taten Ludwigs des
Elften, irgendeine Szene aus der Bartholomäusnacht, der Helmbusch
Heinrichs des Vierten, dazu unauslöschlich die Erinnerung an die
gemalten Teller mit den Verherrlichungen Ludwigs des
Vierzehnten.
    In den Romanzen, die Emma in den Musikstunden sang, war immer
die Rede von Englein mit goldenen Flügeln, von Madonnen, Lagunen
und Gondolieren. Sie waren musikalisch nichts wert, aber so banal
ihr Text und so reizlos ihre Melodien auch sein mochten: die
Realitäten des Lebens hatten in ihnen den phantastischen Zauber der
Sentimentalität. Etliche ihrer Kameradinnen schmuggelten lyrische
Almanache in das Kloster ein, die sie als Neujahrsgeschenke
bekommen hatten. Daß man sie heimlich halten mußte, war die
Hauptsache dabei. Sie wurden im Schlafsaal gelesen. Emma nahm die
schönen Atlaseinbände nur behutsam in die Hand und ließ sich von
den Namen der unbekannten Autoren
faszinieren, die ihre Beiträge zumeist als Grafen und Barone
signiert hatten. Das Herz klopfte ihr, wenn sie das Seidenpapier
von den Kupfern darin leise aufblies, bis es sich bauschte und
langsam auf die andre Seite sank. Auf einem der Stiche sah man
einen jungen Mann in einem Mäntelchen, wie er hinter der Brüstung
eines Altans ein weiß gekleidetes junges Mädchen mit einer Tasche
am Gürtel an sich drückte; auf anderen waren Bildnisse von
ungenannten blondlockigen englischen Ladys, die unter runden
Strohhüten mit großen hellen Augen hervorschauten. Andre sah man in
flotten Wagen durch den Park fahren, wobei ein Windspiel vor den
Pferden hersprang, die von zwei kleinen Grooms in weißen Hosen
kutschiert wurden. Andre träumten auf dem Sofa, ein offenes
Briefchen neben sich, und himmelten durch das halb offene, schwarz
umhängte Fenster den Mond

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