Madame Bovary
an. Wieder andre,
Unschuldskinder, krauten kraulten, eine Träne auf der
Wange, durch das Gitter eines gotischen Käfigs ein Turteltäubchen
oder zerzupften, den Kopf verschämt geneigt, mit koketten Fingern,
die wie Schnabelschuhspitzen nach oben gebogen waren, eine
Marguerite. Alles mögliche andre zeigten die übrigen Stiche:
Sultane mit langen Pfeifen, unter Lauben gelagert, Bajaderen in den
Armen; Giaurs, Türkensäbel, phrygische Mützen, nicht zu vergessen
die faden heroischen Landschaften, auf denen Palmen und Fichten,
Tiger und Löwen friedlich beieinanderstehen, und Minaretts am
Horizonte und römische Ruinen im Vordergrunde eine Gruppe lagernder
Kamele überragen, während auf der einen Seite ein wohlgepflegtes
Stück Urwald steht, auf der andern ein See, eine Riesensonne mit
stechenden Strahlen darüber und auf seiner stahlblauen, hie und da
weiß aufschäumenden Flut, in die Ferne verstreut, gleitende
Schwäne….
Das matte Licht der Lampe, die zu Emmas Häupten an
der Wand hing, blinzelte auf alle diese
weltlichen Bilder, die eins nach dem andern an ihr vorüberzogen, in
des Schlafsaales Stille, in die kein Geräusch drang, höchstens das
ferne Rollen eines späten Fuhrwerks.
Als ihr die Mutter starb, weinte Emma die ersten Tage viel. Sie
ließ sich eine Locke der Verstorbenen in einen Glasrahmen fassen,
schrieb ihrem Vater einen Brief ganz voller wehmütiger
Betrachtungen über das Leben und bat ihn, man möge sie dereinst in
demselben Grabe bestatten. Der gute Mann dachte, sie sei krank, und
besuchte sie. Emma empfand eine innere Befriedigung darin, daß sie
mit einem Male emporgehoben worden war in die hohen Regionen einer
seltenen Gefühlswelt, in die Alltagsherzen niemals gelangen. Sie
verlor sich in Lamartinischen Rührseligkeiten, hörte Harfenklänge
über den Weihern und Schwanengesänge, die Klagen des fallenden
Laubes, die Himmelfahrten jungfräulicher Seelen und die Stimme des
Ewigen, die in den Tiefen flüstert.
Eines Tages jedoch ward ihr alles das langweilig, aber ohne
sichs einzugestehen, und so blieb sie dabei zunächst aus
Gewohnheit, dann aus Eitelkeit, und schließlich war sie überrascht,
daß sie den inneren Frieden wiedergefunden hatte und daß ihr Herz
ebensowenig schwermütig war wie ihre jugendliche Stirne
runzelig.
Die frommen Schwestern, die stark auf Emmas heilige Mission
gehofft hatten, bemerkten zu ihrem höchsten Befremden, daß Fräulein
Rouault ihrem Einfluß zu entschlüpfen drohte. Man hatte ihr allzu
reichliche Gebete, Andachtslieder, Predigten und Fasten angedeihen
lassen, ihr zu trefflich vorgeredet, welch große Verehrung die
Heiligen und Märtyrer genössen, und ihr zu vorzügliche Ratschläge
gegeben, wie man den Leib kasteie und die Seele der ewigen
Seligkeit zuführe; und so ging es mit ihr wie mit einem Pferd, das man zu straff an die Kandare
genommen hat: sie blieb plötzlich stehen und machte nicht mehr
mit.
Bei aller Schwärmerei war sie doch eine Verstandesnatur; sie
hatte die Kirche wegen ihrer Blumen, die Musik wegen der
Liedertexte und die Dichterwerke wegen ihrer sinnlichen Wirkung
geliebt. Ihr Geist empörte sich gegen die Mysterien des Glaubens,
und noch mehr lehnte sie sich nunmehr gegen die Klosterzucht auf,
die ihrem tiefsten Wesen völlig zuwider war. Als ihr Vater sie aus
dem Kloster nahm, hatte man durchaus nichts dagegen; die Oberin
fand sogar, Emma habe es in der letzten Zeit an Ehrfurcht vor der
Schwesternschaft recht fehlen lassen.
Wieder zu Hause, gefiel sich das junge Mädchen zunächst darin,
das Gesinde zu kommandieren, bald jedoch ward sie des Landlebens
überdrüssig, und nun sehnte sie sich nach dem Kloster zurück. Als
Karl zum ersten Male das Gut betrat, war sie just überzeugt, daß
sie alle Illusionen verloren habe, daß es nichts mehr auf der Welt
gäbe, was ihr Hirn oder Herz rühren könne. Dann aber waren das mit
jedem neuen Zustande verbundene wirre Gefühl und die Unruhe, die
sich ihrer diesem Manne gegenüber bemächtigte, stark genug, um in
ihr den Glauben zu erwecken: endlich sei jene wunderbare
Leidenschaft in ihr erstanden, die bisher nicht anders als wie ein
Riesenvogel mit rosigem Gefieder hoch in der Herrlichkeit
himmlischer Traumfernen geschwebt hatte. Doch jetzt, in ihrer Ehe,
hatte sie keine Kraft zu glauben, daß die Friedsamkeit, in der sie
hinlebte, das erträumte Glück sei.
Kapitel 7
Zuweilen machte sie sich Gedanken, ob das wirklich die schönsten
Tage ihres Lebens sein sollten: ihre
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