Madame Bovary
schon
wieder neugeboren, glitzerte die Sonne. Die verschnittenen alten
Weiden spiegelten ihre grauen Stämme auf dem Wasser. Und hüben die
weiten Wiesen lagen so verlassen….
Es war die Stunde, da man in den Gutshöfen zu Mittag ißt. Die
junge Frau und ihr Begleiter vernahmen jetzt nichts als den Klang
ihrer eignen Tritte auf dem harten Pfade und die Worte, die sie
redeten, und das leise Rascheln von Emmas Kleid.
Die oben mit Glasscherben bespickten Gartenmauern, an denen sie
nach Überschreitung eines Stegs hingingen, glühten wie die Scheiben
eines Treibhauses. Zwischen den Steinen sprossen Mauerblumen. Im
Vorübergehen stieß Frau Bovary mit dem Rande ihres Sonnenschirmes
an die welken Blüten; gelber Staub rieselte herab. Ab und zu
streifte eine überhängende Jelänger-jelieber- oder Klematis-Ranke
die Seide ihres Schirmes und blieb einen Augenblick in den Spitzen
hängen.
Sie plauderten von einer Truppe spanischer Tänzer, die demnächst
im Rouener Theater gastieren sollte.
»Werden Sie hinfahren?« fragte Emma.
»Wenn ich kann, ja!«
Hatten sie sich wirklich nichts andres zu sagen? Ihre Augen
sprachen eine viel ernstere Sprache, und während sie sich mit so
banalen Redensarten abquälten, fühlten sie sich alle beide im Banne
der nämlichen schwülen Sehnsucht. Ein leiser, seelentiefer Unterton
dominierte heimlich ohne Unterlaß in ihrem oberflächlichen
Gespräch. Betroffen von diesem ungewohnten süßen Zauber, dachten
sie aber gar nicht daran, einander ihre Empfindungen zu offenbaren
oder ihnen auf den Grund zu gehen. Künftiges Glück ist wie ein
tropisches Gestade: es sendet weit über den Ozean, der noch
dazwischen liegt, seinen lauen Erdgeruch herüber, balsamischen Duft, von dem man sich
berauschen läßt, ohne den Horizont nach dem Woher zu fragen.
An einer Stelle des Weges stand Regenwasser in den Wagengeleisen
und Hufspuren; man mußte ein paar große moosbewachsene Steine, die
Inseln in diesem Morast bildeten, begehen. Auf jedem blieb Emma
eine Weile stehen, um zu erspähen, wohin sie den nächsten Schritt
zu machen hatte. Wenn der Stein wackelte, zog sie die Ellbogen hoch
und beugte sich vornüber. Aber bei aller Hilflosigkeit und Angst,
in den Tümpel zu treten, lachte sie doch.
Vor ihrem Garten angelangt, stieß Frau Bovary die kleine Pforte
auf, stieg die Stufen hinauf und verschwand. Leo begab sich in
seine Kanzlei. Der Notar war abwesend. Der Adjunkt blätterte in
einem Aktenhefte, schnitt sich eine Feder zurecht, schließlich
ergriff er aber seinen Hut und ging wieder. Er stieg die Höhe von
Argueil ein Stück hinauf, nach dem »Futterplatz« am Waldrande. Dort
legte er sich unter eine Tanne und starrte in das Himmelsblau, die
Hände locker über den Augen.
»Ach, ist das langweilig! Ist das langweilig!« seufzte er.
Er fand das Dasein in diesem Neste jammervoll, mit Homais als
Freund und Guillaumin als Chef. Dem letzteren, diesem gräßlichen
Kanzleimenschen mit seiner goldnen Brille, seinem roten Backenbart,
seiner ewigen weißen Krawatte, dem mangelte auch der geringste Sinn
für höhere Dinge. Es war nur in der ersten Zeit gewesen, daß er dem
Adjunkten mit seinen formellen Diplomatenmanieren imponiert hatte.
Wen gab es weiter in Yonville? Die Frau des Apothekers. Die war
weit und breit die beste Gattin, sanft wie ein Lamm, brav und treu
zu Kindern, Vater, Mutter, Vettern und Basen. Keinen Menschen
konnte sie leiden sehen, und in der Wirtschaft ließ sie alles
drunter und drüber gehn. Sie war eine Feindin des Korsetts, sah
sehr gewöhnlich aus und war in ihrer
Unterhaltung höchst beschränkt. Alles in allem war sie eine ebenso
harmlose wie langweilige Dame. Obgleich sie dreißig Jahre alt war
und er zwanzig, obwohl er Tür an Tür mit ihr schlief und obgleich
er täglich mit ihr sprach, war es ihm doch noch nie in den Sinn
gekommen, daß sie irgendjemandes Frau sein könne und mit ihren
Geschlechtsgenossinnen mehr gemeinsam habe als die Röcke.
Und wen gab es außerdem noch? Den Steuereinnehmer Binet, ein
paar Kaufleute, zwei oder drei Kneipwirte, den Pfaffen, dann den
Bürgermeister Túvache und seine beiden Söhne, großprotzige,
mürrische, stumpfsinnige Kerle, die ihre Äcker selber pflügten,
unter sich Gelage veranstalteten, scheinheilige Duckmäuser, mit
denen zu verkehren glatt unmöglich war.
Von dieser Masse alltäglicher Leute hob sich Emmas Gestalt ab,
einsam und doch unerreichbar. Ihm wenigstens war es, als lägen
tiefe Abgründe zwischen ihr und ihm. In
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