Madame Bovary
zurück, als habe
er einen Menschen getreten.
Wenn die Partie zu Ende war, begannen Homais und Karl Domino zu
spielen. Emma setzte sich dann an das andre Ende des Tisches und
sah sich, die Ellbogen aufgestützt, die »Illustrierte Zeitung« an.
Oft hatte sie auch ihren »Bazar« mitgebracht. Leo nahm neben ihr
Platz. Sie betrachteten zusammen die Holzschnitte und warteten mit
dem Umblättern aufeinander. Manchmal bat sie ihn, Gedichte
vorzulesen. Leo trug mit langsamer Stimme vor, die bei verliebten
Stellen flüsternd wurde. Das Klappern der Dominosteine störte ihn.
Der Apotheker war ein gerissener Spieler und hatte dabei auch noch
unverschämtes Glück. Wenn die dreihundert Points erreicht waren,
setzten sich die Spieler an den Kamin, und es dauerte nicht lange,
da waren sie alle beide eingenickt. Das Feuer im Kamin war im
Erlöschen, die Teekanne leer. Leo las weiter, und Emma hörte ihm
zu, wobei sie halb unbewußt in einem fort den Lampenschirm
herumdrehte, auf dessen dünnen Kattun Pierrots in einer Kutsche und
Seiltänzerinnen mit Balancierstangen aufgedruckt waren. Mit einem
Male hielt der Leser inne und wies durch eine Geste auf die
eingeschlafene Zuhörerschaft, und nun sprachen sie
lispelnd miteinander. Diese leise
Plauderei dünkte beide um so süßer, als niemand ihrer lauschte.
So bestand zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft und ein
fortwährender Austausch von Romanen und Gedichtbüchern. Karl, der
keine Neigung zur Eifersucht besaß, hatte nichts dagegen. Zu seinem
Geburtstage bekam er einen phrenologischen Schädel, der über und
über mit blauen Linien und Zeichen bedeckt war, eine Aufmerksamkeit
Leos. Andre folgten. Er fuhr sogar mitunter nach Rouen, um dort
Besorgungen für das Ehepaar zu machen. Als infolge eines Moderomans
die Kakteen in Beliebtheit kamen, brachte er ein Exemplar, das er
während der Fahrt in der Post vor sich auf den Knien hielt. Das
stachlige Ding zerstach ihm alle Finger.
Emma ließ vor ihrem Fenster ein kleines Blumenbrett für ihre
Blumentöpfe anbringen, ganz so, wie der Adjunkt eins hatte. Beim
Begießen ihrer Blumen sahen sich die beiden.
Eines Abends, als Leo nach Haus kam, fand er in seinem Zimmer
eine Reisedecke aus mattfarbenem Samt, auf dem mir Seide und Wolle
Blumen und Blätter gestickt waren. Er zeigte sie Frau Homais, dem
Apotheker, dem Lehrling, den Kindern und der Köchin; sogar seinem
Chef erzählte er davon. Alle Welt wollte nun die Decke sehen. Aber
warum machte die Frau des Doktors dem Adjunkten so kostbare
Geschenke? Das war doch sonderbar. Und alsobald stand es
unumstößlich fest: sie war »seine gute Freundin.«
Leo verstärkte unvorsichtigerweise diesen Klatsch, weil er
unaufhörlich und vor jedermann von Emmas Schönheit und Klugheit
schwärmte. Binet wurde ihm deshalb einmal gehörig grob:
»Was geht mich denn das an? Ich gehöre nicht zu der Clique!«
Der Verliebte marterte sich mit Grübeleien ab, wie er sich Emma
erklären könne. Er schwankte fortwährend zwischen derFurcht, sich ihren Unwillen zuzuziehen, und der Scham
über seine Feigheit. Er vergoß Tränen ob seiner Mutlosigkeit und
seiner Sehnsucht. Oft genug entschloß er sich zu kühner
Entscheidung. Er schrieb Briefe, die er wieder zerriß; nahm sich
Tage der Tat vor, die er dann doch verstreichen ließ. Manchmal ging
er mir dem festen Vorsatz zu ihr, alles zu wagen; aber in ihrer
Gegenwart verlor er alsbald den Mut, und wenn gar Karl dazukam und
ihn einlud, sich mit in den Dogcart zu setzen, um irgendeinen
Patienten in der Umgegend zu besuchen, war er sofort dazu bereit.
Dann sagte er der »gnädigen Frau« adieu und fuhr mit. War nicht ihr
Mann auch ein Stück von ihr?
Emma ihrerseits fragte sich gar nicht, ob sie Leo liebe. Es war
ihr Glaube, daß die Liebe mit einem Male dasein müsse, unter Donner
und Blitz, wie ein Sturm aus blauem Himmel, der die Menschen packt
und erschüttert, ihnen den freien Willen entreißt, wie einem Baum
das Laub, und das ganze Herz in den Abgrund schwemmt. Sie wußte
nicht, daß der Regen auf den flachen Dächern der Häuser Seen
bildet, wenn die Traufen verstopft sind. Und so wäre sie in ihrem
Selbstbetrug verblieben, wenn sie nicht mit einem Male den Riß in
der Mauer bemerkt hätten.
Kapitel 5
Es war an einem Sonntag nachmittag im Februar. Es schneite.
Herr und Frau Bovary, der Apotheker und Leo hatten zusammen
einen Ausflug unternommen, um eine neu errichtete Leineweberei,
eine halbe Stunde talabwärts von Yonville, zu besichtigen.
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