Madame Bovary
blau schimmernden Wasser krochen träg zu den
Wehren und Brücken. Arbeiter kauerten am Ufer und wuschen sich die
Arme in der Flut. An Stangen, die aus Speichergiebeln lang
hervorragten, trockneten Bündel von Baumwolle in der Luft.
Gegenüber, hinter den Dächern, leuchtete der weite klare Himmel mit
der sinkenden roten Sonne. Wie herrlich mußte es da draußen im
Freien sein! Und dort im Buchenwald wie
frisch! Karl holte tief Atem, um den köstlichen Duft der Felder
einzusaugen, der doch gar nicht bis zu ihm drang.
Er magerte ab und sah sehr schmächtig aus. Sein Gesicht bekam
einen leidvollen Zug, der es beinahe interessant machte. Er ward
träge, was gar nicht zu verwundern war, und seinen guten Vorsätzen
mehr und mehr untreu. Heute versäumte er die Klinik, morgen ein
Kolleg, und allmählich fand er Genuß am Faulenzen und ging gar
nicht mehr hin. Er wurde Stammgast in einer Winkelkneipe und ein
passionierter Dominospieler. Alle Abende in einer schmutzigen
Spelunke zu hocken und mit den beinernen Spielsteinen auf einem
Marmortische zu klappern, das dünkte ihn der höchste Grad von
Freiheit zu sein, und das stärkte ihm sein Selbstbewußtsein. Es war
ihm das so etwas wie der Anfang eines weltmännischen Lebens, dieses
Kosten verbotener Freuden. Wenn er hinkam, legte er seine Hand mit
geradezu sinnlichem Vergnügen auf die Türklinke. Eine Menge Dinge,
die bis dahin in ihm unterdrückt worden waren, gewannen nunmehr
Leben und Gestalt. Er lernte Gassenhauer auswendig, die er
gelegentlich zum besten gab. Béranger, der Freiheitssänger,
begeisterte ihn. Er lernte eine gute Bowle brauen, und zu guter
Letzt entdeckte er die Liebe. Dank diesen Vorbereitungen fiel er im
medizinischen Staatseramen glänzend durch.
Man erwartete ihn am nämlichen Abend zu Haus, wo sein Erfolg bei
einem Schmaus gefeiert werden sollte. Er machte sich zu Fuß auf den
Weg und erreichte gegen Abend seine Heimat. Dort ließ er seine
Mutter an den Dorfeingang bitten und beichtete ihr alles. Sie
entschuldigte ihn, schob den Mißerfolg der Ungerechtigkeit der
Examinatoren in die Schuhe und richtete ihn ein wenig auf, indem
sie ihm versprach, die Sache ins Lot zu bringen. Erst volle fünf Jahre darnach erfuhr Herr Bovary die
Wahrheit. Da war die Geschichte verjährt, und so fügte er sich
drein. Übrigens hätte er es niemals zugegeben, daß sein leiblicher
Sohn ein Dummkopf sei.
Karl widmete sich von neuem seinem Studium und bereitete sich
hartnäckigst auf eine nochmalige Prüfung vor. Alles, was er gefragt
werden konnte, lernte er einfach auswendig. In der Tat bestand er
das Examen nunmehr mit einer ziemlich guten Note. Seine Mutter
erlebte einen Freudentag. Es fand ein großes Festmahl statt.
Wo sollte er seine ärztliche Praxis nun ausüben? In Tostes. Dort
gab es nur einen und zwar sehr alten Arzt. Mutter Bovary wartete
schon lange auf sein Hinscheiden, und kaum hatte der alte Herr das
Zeitliche gesegnet, da ließ sich Karl Bovary auch bereits als sein
Nachfolger daselbst nieder.
Aber nicht genug, daß die Mutter ihren Sohn erzogen, ihn Medizin
studieren lassen und ihm eine Praxis ausfindig gemacht hatte: nun
mußte er auch eine Frau haben. Selbige fand sie in der Witwe des
Gerichtsvollziehers von Dieppe, die neben fünfundvierzig Jährlein
zwölfhundert Franken Rente ihr eigen nannte. Obgleich sie häßlich
war, dürr wie eine Hopfenstange und im Gesicht so viel Pickel wie
ein Kirschbaum Blüten hatte, fehlte es der Witwe Dubuc keineswegs
an Bewerbern. Um zu ihrem Ziele zu gelangen, mußte Mutter Bovary
erst alle diese Nebenbuhler aus dem Felde schlagen, was sie sehr
geschickt fertig brachte. Sie triumphierte sogar über einen
Fleischermeister, dessen Anwartschaft durch die Geistlichkeit
unterstützt wurde.
Karl hatte in die Heirat eingewilligt in der Erwartung, sich
dadurch günstiger zu stellen. Er hoffte, persönlich wie pekuniär
unabhängiger zu werden. Aber Heloise nahm die Zügel in ihre Hände.
Sie drillte ihm ein, was er vor den Leuten zu sagen
habe und was nicht. Alle Freitage wurde
gefastet. Er durfte sich nur nach ihrem Geschmacke kleiden, und die
Patienten, die nicht bezahlten, mußte er auf ihren Befehl hin
kujonieren. Sie erbrach seine Briefe, überwachte jeden Schritt, den
er tat, und horchte an der Türe, wenn weibliche Wesen in seiner
Sprechstunde waren. Jeden Morgen mußte sie ihre Schokolade haben,
und die Rücksichten, die sie erheischte, nahmen kein Ende.
Unaufhörlich klagte sie über Migräne,
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