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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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der Lücke einer Gartenhecke, um
hinter der Mauer eines Vorhofes wieder aufzutauchen, wo er ein
großes Tor öffnete. Das Pferd trat in nasses rutschiges Gras, und
Karl mußte sich ducken, um nicht vom Baumgezweig aus dem Sattel
gerissen zu werden. Hofhunde fuhren aus ihren Hütten, schlugen an
und rasselten an den Ketten. Als der Arzt in den eigentlichen
Gutshof einritt, scheute der Gaul und machte einen großen Satz zur
Seite.
    Das Pachtgut Bertaur war ein ansehnliches Besitztum. Durch die
offenstehenden Türen konnte man in die Ställe blicken, wo kräftige
Ackergäule gemächlich aus blanken Raufen ihr Heu kauten. Längs der
Wirtschaftsgebäude zog sich ein dampfender Misthaufen hin. Unter
den Hühnern und Truthähnen machten sich fünf bis sechs Pfauen
mausig, der Stolz der Güter jener Gegend. Der Schafstall war lang,
die Scheune hoch und ihre Mauern spiegelglatt. Im Schuppen standen
zwei große Leiterwagen und vier Pflüge, dazu die nötigen
Pferdegeschirre, Kumte und Peitschen; auf den blauen Woilachs aus
Schafwolle hatte sich feiner Staub gelagert, der von den Kornböden
heruntersickerte. Der Hof, der nach dem Wohnhause zu etwas anstieg,
war auf beiden Seiten mit einer Reihe Bäume bepflanzt. Vom Tümpel
her erscholl das fröhliche Geschnatter der Gänse.
    An der Schwelle des Hauses erschien ein junges Frauenzimmer in
einem mit drei Volants besetzten blauen Merinokleide und begrüßte
den Arzt. Er wurde nach der Küche geführt, wo ein tüchtiges Feuer
brannte. Auf dem Herde kochte in kleinenTöpfen
von verschiedener Form das Frühstück des Gesindes. Oben im
Rauchfang hingen naßgewordene Kleidungsstücke zum Trocknen.
Kohlenschaufel, Feuerzange und Blasebalg, alle miteinander von
riesiger Größe, funkelten wie von blankem Stahl, während längs der
Wände eine Unmenge Küchengerät hing, über dem die helle Herdflamme
um die Wette mit den ersten Strahlen der durch die Fenster
huschenden Morgensonne spielte und glitzerte.
    Karl stieg in den ersten Stock hinauf, um den Kranken
aufzusuchen. Er fand ihn in seinem Bett, schwitzend unter seinen
Decken. Seine Nachtmütze hatte er in die Stube geschleudert. Es war
ein stämmiger kleiner Mann, ein Fünfziger, mit weißem Haar, blauen
Augen und kahler Stirn. Er trug Ohrringe. Neben ihm auf einem
Stuhle stand eine große Karaffe voll Branntwein, aus der er sich
von Zeit zu Zeit ein Gläschen einschenkte, um »Mumm in die Knochen
zu kriegen«. Angesichts des Arztes legte sich seine Erregung. Statt
zu fluchen und zu wettern – was er seit zwölf Stunden getan hatte –
fing er nunmehr an zu ächzen und zu stöhnen.
    Der Bruch war einfach, ohne jedwede Komplikation. Karl hätte
sich einen leichteren Fall nicht zu wünschen gewagt. Alsbald
erinnerte er sich der Allüren, die seine Lehrmeister an den
Krankenlagern zur Schau gerragen harten, und spendete dem Patienten
ein reichliches Maß der üblichen guten Worte, jenes
Chirurgenbalsams, der an das Öl gemahnt, mit dem die Seziermesser
eingefetter werden. Er ließ sich aus dem Holzschuppen ein paar
Latten holen, um Holz zu Schienen zu bekommen. Von den gebrachten
Stücken wählte er eins aus, schnitt die Schienen daraus zurecht und
glättete sie mit einer Glasscherbe. Währenddem stellte die Magd
Leinwandbinden her, und Fräulein Emma, die Tochter des Hauses,
versuchte Polster anzufertigen. Als sie ihren Nähkasten nicht gleich fand, polterte der Vater
los. Sie sagte kein Wort. Aber beim Nähen stach sie sich in den
Finger, nahm ihn in den Mund und sog das Blut aus.
    Karl war erstaunt, was für blendendweiße Nägel sie hatte. Sie
waren mandelförmig geschnitten und sorglich gepflegt, und so
schimmerten sie wie das feinste Elfenbein. Ihre Hände freilich
waren nicht gerade schön, vielleicht nicht weiß genug und ein wenig
zu mager in den Fingern; dabei waren sie allzu schlank, nicht
besonders weich und in ihren Linien ungraziös. Was jedoch schön an
ihr war, das waren ihre Augen. Sie waren braun, aber im Schatten
der Wimpern sahen sie schwarz aus, und ihr offener Blick traf die
Menschen mit der Kühnheit der Unschuld.
    Als der Verband fertig war, lud Herr Rouault den Arzt feierlich
»einen Bissen zu essen«, ehe er wieder aufbräche. Karl ward in das
Esszimmer geführt, das zu ebener Erde lag. Auf einem kleinen Tische
war für zwei Personen gedeckt; neben den Gedecken blinkten silberne
Becher. Aus dem großen Eichenschranke, gegenüber dem Fenster,
strömte Geruch von Iris und feuchtem Leinen. In einer Ecke

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