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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Brustschmerzen oder
Verdauungsstörungen. Wenn viel Leute durch den Hausflur liefen,
ging es ihr auf die Nerven. War Karl auswärts, dann fand sie die
Einsamkeit gräßlich; kehrte er heim, so war es zweifellos bloß,
weil er gedacht habe, sie liege im Sterben. Wenn er nachts in das
Schlafzimmer kam, streckte sie ihm ihre mageren langen Arme aus
ihren Decken entgegen, umschlang seinen Hals und zog ihn auf den
Rand ihres Bettes. Und nun ging die Jeremiade los. Er
vernachlässige sie, er liebe eine andre! Man habe es ihr ja gleich
gesagt, diese Heirat sei ihr Unglück. Schließlich bat sie ihn um
einen Löffel Arznei, damit sie gesund werde, und um ein bißchen
mehr Liebe.

Kapitel 2
     
    Einmal nachts gegen elf Uhr wurde das Ehepaar durch das
Getrappel eines Pferdes geweckt, das gerade vor der Haustüre zum
Stehen kam. Anastasia, das Dienstmädchen, klappte ihr Bodenfenster
auf und verhandelte eine Weile mit einem Manne, der unten auf der
Straße stand. Er wolle den Arzt holen. Er habe einen Brief an
ihn.
    Anastasia stieg frierend die Treppen hinunter und schob die
Riegel auf, einen und dann den andern. Der Bote ließ sein Pferd
stehen, folgte dem Mädchen und betrat ohne weiteres das
Schlafgemach. Er entnahm seinem wollnen Käppi, an dem eine graue
Troddel hing, einen Brief, der in einen Lappen eingewickelt war,
und überreicht ihn dem Arzt mit höflicher Gebärde. Der richtete
sich im Bett auf, um den Brief zu lesen. Anastasia stand dicht
daneben und hielt den Leuchter. Die Frau Doktor kehrte sich
verschämt der Wand zu und zeigte den Rücken.
    In dem Briefe, den ein niedliches blaues Siegel verschloß, wurde
Herr Bovary dringend gebeten, unverzüglich nach dem Pachtgut Les
Bertaur zu kommen, ein gebrochenes Bein zu behandeln. Nun braucht
man von Tostes über Longueville und Sankt Victor bis Bertaur zu Fuß
sechs gute Stunden. Die Nacht war stockfinster. Frau Bovary sprach
die Befürchtung aus, es könne ihrem Manne etwas zustoßen.
Infolgedessen ward beschlossen, daß der Stallknecht vorausreiten,
Karl aber erst drei Stunden später, nach Mondaufgang, folgen solle.
Man würde ihm einen Jungen entgegenschicken, der ihm den Weg zum
Gute zeige und ihm den Hof aufschlösse.
    Früh gegen vier Uhr machte sich Karl, fest in feinen Mantel
gehüllt, auf den Weg nach Bertaur. Noch ganz verschlafen überließ
er sich dem Zotteltrab seines Gaules. Wenn dieser von
selber vor irgendeinem im Wege liegenden
Hindernis zum Halten parierte, wurde der Reiter jedesmal wach,
erinnerte sich des gebrochnen Beines und begann in seinem
Gedächtnisse alles auszukramen, was er von Knochenbrüchen
wußte.
    Der Regen hörte auf. Es dämmerte. Auf den laublosen Ästen der
Apfelbäume hockten regungslose Vögel, das Gefieder ob des kühlen
Morgenwindes gesträubt. So weit das Auge sah, dehnte sich flaches
Land. Auf dieser endlosen grauen Fläche hoben sich hie und da in
großen Zwischenräumen tiefviolette Flecken ab, die am Horizonte mit
des Himmels trüben Farben zusammenflossen; das waren Baumgruppen um
Güter und Meiereien herum. Von Zeit zu Zeit riß Karl seine Augen
auf, bis ihn die Müdigkeit von neuem überwältigte und der Schlaf
von selber wiederkam. Er geriet in einen traumartigen Zustand, in
dem sich frische Empfindungen mit alten Erinnerungen paarten, so
daß er ein Doppelleben führte. Er war noch Student und gleichzeitig
schon Arzt und Ehemann. Im nämlichen Moment glaubte er in seinem
Ehebette zu liegen und wie einst durch den Operationssaal zu
schreiten. Der Geruch von heißen Umschlägen mischte sich in seiner
Phantasie mit dem frischen Dufte des Morgentaus. Dazu hörte er, wie
die Messingringe an den Stangen der Bettvorhänge klirrten und wie
seine Frau im Schlafe atmete…
    Als er durch das Dorf Vassonville ritt, bemerkte er einen
Jungen, der am Rande des Straßengrabens im Grase saß.
    »Sind Sie der Herr Doktor?«
    Als Karl diese Frage bejahte, nahm der Kleine seine
Holzpantoffeln in die Hände und begann vor dem Pferde herzurennen.
Unterwegs hörte Bovary aus den Reden seines Führers heraus, daß
Herr Rouault, der Patient, der ihn erwartete, einer der
wohlhabendsten Landwirte sei. Er hatte sich am vergangenen Abend
auf dem Heimwege von einem Nachbar, wo man dasDreikönigsfest gefeiert hatte, ein Bein gebrochen.
Seine Frau war schon zwei Jahre tot. Er lebte ganz allein mit »dem
gnädigen Fräulein«, das ihm den Haushalt führte.
    Die Radfurchen wurden tiefer. Man näherte sich dem Gute.
Plötzlich verschwand der Junge in

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