Madame Bovary
schossen
pfeilschnell durch die Luft, kurze Schreie ausstoßend, und flogen
zurück in ihre gelben Nester unter dem Turmdache. Im Chor der
Kirche brannte eine Lampe oder vielmehr ein Nachtlicht unter einer
hängenden Glasglocke. Von weitem sah die Flamme wie ein über dem Öl
schwimmender zittriger weißer Fleck aus. Ein langer Sonnenstrahl
durchquerte das Hauptschiff; in um so tieferem Dunkel lagen die
Nebenschiffe und Nischen.
»Wo ist der Pfarrer?« fragte Frau Bovary einen Knaben,
der sich damit belustigte, die bereits
lockere Klinke der Friedhofspforte völlig abzuwürgen.
»Der wird gleich kommen!« war die Antwort.
Wirklich knarrte die Tür des Pfarrhauses, und der Abbé
Bournisien erschien. Die Kinder rannten eiligst in die Kirche
hinein.
»Rasselbande!« murmelte der Priester. »Einen wie alle Tage!« Er
hob einen zerflederten Katechismus auf, an den sein Fuß gestoßen
war. »Nichts wird respektiert!« Da bemerkte er Frau Bovary.
»Verzeihung!« sagte er. »Ich hatte Sie nicht erkannt.«
Er steckte den Katechismus in die Tasche und blieb stehen, indem
er den schweren Sakristeischlüssel auf zwei Fingern
balancierte.
Der Schein der Abendsonne fiel ihm voll ins Gesicht und nahm
seiner Soutane alle Farbe. Sie glänzte übrigens an den Ellenbogen
bereits, und in den Säumen war sie ausgefasert. Fett- und
Tabakflecke begleiteten die Linie der kleinen Knöpfe die Brust
entlang. Nach dem Kragen zu, unter dem Doppelkinn seines Gesichts,
wurden sie zahlreicher. Es war von Sommersprossen besät, die sich
in seinen stoppeligen grauen Bart hinein verloren. Er kam vom Essen
und atmete geräuschvoll.
»Wie geht es Ihnen?« erkundigte er sich.
»Schlecht!« antwortete Emma.
»Ja, ja! Ganz wie mir«, erwiderte der Priester. »Die ersten
warmen Tage machen einen unglaublich matt, nicht wahr? Aber es ist
nun einmal so! Wir sind zum Leiden geboren, wie Sankt Paulus sagt.
Und wie denkt Herr Bovary darüber?«
»Ach der!« Sie machte eine verächtliche Gebärde.
»Was?« erwiderte der ehrwürdige Mann ganz erstaunt. »Verordnet
er Ihnen denn nichts?«
»Ach,« meinte sie, »irdische Heilmittel, die nutzen mir nichts.«
Trotzdem sich der Geistliche unterhielt, warf er seinen Blick
doch hin und wieder in die Kirche, wo die
Jungen, die niedergekniet waren, sich gegenseitig mit den Schultern
anrempelten, so daß sie reihenweise wie die Kegel umpurzelten.
»Ich möchte gern wissen …«, fuhr Emma fort.
»Warte nur, Boudet, warte du nur!« unterbrach sie der Priester
in zornigem Tone. »Ich werde dich gleich an den Ohren kriegen, du
Schlingel, du!« Zu Emma gewandt, fügte er hinzu: »Das ist der Junge
vom Zimmermann Boudet. Seine Eltern sind schwache Leute; sie lassen
dem Jungen die größten Narrenpossen durch. Der Bengel könnte sehr
wohl was lernen, wenn er nur wollte, denn er ist gar nicht dumm …
Na, und wie gehts dem Herrn Gemahl?«
Emma tat, als ob sie die Frage überhört hätte. Der Geistliche
fuhr fort:
»Immer tüchtig beschäftigt, nicht wahr? Ja, ja! Er und ich, wir
beiden haben im Kirchspiel zweifellos am meisten zu tun….« Er
lachte behäbig, »… er als Arzt des Leibes und ich der Seele.«
Emma schaute ihn flehentlich an.
»Sie! Ja!« sagte sie. »Sie heilen alle Wunden!«
»Oh! Sprechen Sie nicht so, Frau Bovary! Gerade heute vormittag,
da bin ich nach Bas-Diauville gerufen worden, zu einer
wassersüchtigen Kuh. Die Leute glaubten, das Tier sei verhext.
Merkwürdig! Alle Kühe da … Verzeihen Sie mal! – Longuemarre und
Boudet! Zum Donnerwetter! Wollt ihr stille sein!« Mit einem großen
Satze war er drinnen in der Kirche.
Da flohen die Knaben hinter das Meßpult oder kletterten auf den
Sitz des Vorsängers. Andre verkrochen sich in den Beichtstuhl. Aber
der Pfarrer teilte behend rechts und links einen Hagel von
Backpfeifen aus; einen der Jungen packte er am Rockkragen, hob ihn
in die Luft und duckte ihn dann in die Knie, als ob er ihn mit
aller Gewalt in die Steinfliese hineindrücken wollte.
»So!« sagte er zu Frau Bovary, als er wieder
bei ihr war, während er sein großes Kattuntaschentuch entfaltete
und sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Die Landleute sind
recht zu bedauern….«
»Andre Leute auch«, meinte sie.
»Gewiß! Die Arbeiter in den Städten zum Beispiel.«
»Die meine ich nicht.«
»Erlauben Sie mir! Ich habe unter ihnen Familienmütter kennen
lernen, ehrbare Frauen, ich sage Ihnen: wahre Heilige. Und sie
hatten nicht einmal das tägliche Brot.«
»Ich
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