Madame Bovary
Tritte auf der Treppe. Es war Leo. Sie stand
schnell auf und nahm von der Kommode von einem Stoß Wischtücher,
die gesäumt werden sollten, das oberste zur Hand. Als der junge
Mann eintrat, tat sie sehr beschäftigt.
Die Unterhaltung wollte nicht recht in Gang kommen. Frau Bovary
schwieg immer wieder, und Leo war aus Schüchternheit einsilbig. Er
saß nahe am Kamin auf einem niedrigen Sessel und spielte mit ihrem
elfenbeinernen Nadelbüchschen.
Emma nähte oder glättete von Zeit zu Zeit mit dem Fingernagel
den umgelegten Saum. Sie verstummte ganz, und er sagte nichts, weil
ihn ihr Schweigen ebenso nachdenklich machte, als ob sie wer weiß
was gesprochen hätte.
»Armer Junge!« dachte sie.
»Warum bin ich bei ihr in Ungnade?« fragte er sich.
Schließlich fing er an zu reden. Er müsse in den nächsten Tagen
nach Rouen fahren. In einer Berufsangelegenheit.
»Ihr Musikalienabonnement ist abgelaufen. Darf ich es
erneuern?«
»Nein«, entgegnete sie.
»Warum nicht?«
»Weil …«
Emma biß sich auf die Lippen. Umständlich zog sie den grauen
Zwirn hoch. Leo ärgerte sich über ihre Emsigkeit. »Warum zersticht
sie sich die Finger?« dachte er. Eine galante Bemerkung fuhr ihm
durch den Sinn, aber er wagte nicht, sie auszusprechen.
»So wollen Sie es also aufgeben?«
»Was?« fragte sie nervös. »Die Musik? Ach, du mein Gott! Ich
habe soviel in der Wirtschaft zu tun, meinen Mann zu versorgen und
tausend andre Dinge. Mit einem Wort: erst die Pflicht!«
Sie blickte nach der Uhr. Karl hätte schon längst heim sein
müssen. Sie stellte sich beunruhigt. Zwei- oder dreimal meinte sie
im Gespräche:
»Mein Mann ist so gut!«
Der Adjunkt mochte Herrn Bovary sehr gut leiden. Aber diese
Zärtlichkeit befremdete ihn auf das unangenehmste. Gleichwohl
stimmte er in ihr Lob ein.
»Darüber sind wir uns alle einig; der Apotheker sagts auch
immer!« erklärte er.
»Ja, ja, er ist ein prächtiger Mensch!« wiederholte sie.
»Gewiß!« bestätigte der Adjunkt.
Er begann dann von Frau Homais zu sprechen, über deren sehr
nachlässige Kleidung sich die beiden sonst häufig amüsierten.
»So schlimm ist es gar nicht!« behauptete Emma heute. »Eine gute
Hausfrau kann sich nicht bloß um ihre Toilette kümmern.«
Dann versank sie in ihr früheres Stillschweigen.
So blieb sie auch an den folgenden Tagen. Ihre Sprache, ihr
Benehmen, ihr ganzes Wesen waren wie verwandelt. Sie
kümmerte sich um ihr Haus, ging wieder
regelmäßig in die Kirche und hielt ihr Dienstmädchen strenger.
Die kleine Berta wurde aus der Ziehe zurückgeholt. Wenn Besuch
kam, brachte Felicie das Kind herein, und Frau Bovary zeigte, was
für stramme Beinchen es hatte. Sie beteuerte, Kinder hätte sie über
alles gern; das ihre sei ihr Trost, ihre Freude, ihr Glück. Dabei
liebkoste sie es unter einem Schwall von schwärmerischen Tiraden,
die jeden Literaturfreund – die biederen Yonviller waren keine! –
an die Sachette in Viktor Húgos »Notre-Dame« erinnert hätten.
Wenn Karl heimkam, fand er seine Hausschuhe gewärmt am Kamine
stehen, seine Westen hatten kein zerrissenes Futter mehr, und an
seinen Hemden waren die Knöpfe immer vollzählig. Er hatte sogar das
Vergnügen, seine Hüte und Mützen wohlgeordnet im Schranke hängen zu
sehen. Emma lehnte es mit einem Male nicht mehr ab, ihn zu einem
kleinen Rundgang in den Garten zu begleiten. Sie war mit jedem
Vorschlage, den Karl machte, sofort einverstanden; selbst wenn sie
den Zweck nicht recht einsah, fügte sie sich ohne Murren. Wenn Leo
die beiden nach Tisch so sah: ihn am Kamin, die Hände über dem
Bauche gefaltet, die Füße behaglich gegen die Glut gestemmt, die
Backen noch rot vom Mahle und die Äuglein in eitel Wonne
schwimmend, vor sich das Kind, das auf dem Teppich herumrurschte,
und daneben die feinlinige schlanke Frau, wie sie sich über die
Lehne seines Großvaterstuhls beugte und ihm einen Kuß auf die Stirn
gab, – dann sagte er sich:
»Ich Narr! Nie wird sie die meine werden!«
Sie kam ihm ebenso vollkommen wie unnahbar vor, und ihm schwand
jede, auch die leiseste Hoffnung. In seiner Resignation begann er
sie zu vergöttern. Allmählich verlor sie in seinen Augen ihre
Körperlichkeit, die nun einmal doch für ihn nicht da
war. Vor seiner Phantasie schwebte sie
immer höher, umstrahlt von einer Gloriole. Seine reine Liebe hatte
nichts mehr mit seinem Alltagsleben zu tun; sie ward zu einem
Heiligenkult, dessen Verlust mehr Schmerz bereitet, als der
körperliche Besitz der
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