Madame Bovary
Geliebten Genuß gewährt.
Emma magerte ab, ihre Wangen verloren die Farbe, ihr Gesicht
wurde schmächtiger. Mit ihrem schwarzen gescheitelten Haar, ihren
großen Augen, ihrer gerade geschnittenen Nase, ihrem Vogelgange und
ihrer jetzigen Schweigsamkeit schien sie durchs Leben zu schreiten,
ohne den Erdboden zu berühren, und es war, als trüge sie auf der
Stirne das geheimnisvolle Mal einer höheren Bestimmung. Sie war so
traurig und so still, so sanft und dabei so unnahbar, daß man ihre
Gegenwart wie eine eiskalte Wonne empfand. Geradeso mischt sich in
den Kirchen in den Duft der Rosen die Kälte des Marmors, so daß man
zusammenschauert. Es lag ein seltsamer Zauber darin, dem niemand
entrann.
»Sie ist eine Frau großen Stils,« sagte der Apotheker einmal,
»sie müßte einen Minister zum Manne haben!«
Die Spießbürger rühmten ihre Sparsamkeit, die Patienten ihr
höfliches Wesen, die armen Leute ihren milden Sinn.
Innerlich aber war sie voller Begierden, voll Grimm und Haß.
Hinter ihrem klösterlichen Kleid stürmte ein weltverlangendes Herz,
und ihre keuschen Lippen verheimlichten alle Qualen der
Sinnlichkeit. Sie war in Leo verliebt. Sie suchte die Einsamkeit,
um in der Vorstellung ungestört zu schwelgen. Diese Wollust der
Träume ward ihr durch den leibhaftigen Anblick des Geliebten nur
gestört. Beim Hören seiner Tritte zitterte sie. Sobald er aber
eintrat, verflog diese Erregung, und sie fühlte nichts als
namenlose Verwunderung und tiefe Schwermut.
Leo ahnte nicht, daß Emma ans Fenster eilte, um ihm nachzusehen,
wenn er entmutigt von ihr gegangen war. Voller Unruhebeobachtete sie alle seine Bewegungen und forschte in
seinen Augen. Sie erfand einen ganzen Roman, nur um einen Vorwand
zu haben, sein Zimmer einmal zu sehen. Die Apothekerin erschien ihr
beneidenswert, weil sie mit ihm unter einem Dache schlafen durfte.
Ihre Gedanken ließen sich immer wieder auf seinem Hause nieder,
just wie die Tauben vom Goldnen Löwen, die hingeflogen kamen, um
ihre roten Stelzen und weißen Flügel in der Dachrinne zu
netzen.
Je klarer sich Emma ihrer Leidenschaft bewußt ward, um so mehr
drängte sie sie zurück. Ihre Liebe sollte unsichtbar und klein
bleiben. Wohl war es ihr Sehnen, daß Leo die Wahrheit bemerke; sie
erträumte sich Zufälle und Katastrophen, die dies herbeiführten.
Aber ihre Passivität, die Angst vor der Entscheidung und auch ihr
Schamgefühl hielten sie zurück. Sie bildete sich ein, sie hätte
sich ihn bereits allzusehr entfremdet, es wäre nun zu spät und
alles sei verloren. Und dann sagte sie sich voll Stolz und Freude:
»Ich bin eine anständige Frau geblieben!« Sie stellte sich vor den
Spiegel in der Pose der Resignation. Das tröstete sie ein wenig ob
des Opfers, das sie zu bringen wähnte.
Ihre unbefriedigte Sinnlichkeit, ihre Lüsternheit nach Reichtum
und Luxus und ihre schwermütige Liebe ergaben alles in allem ein
einziges Weh. Statt aber ihre Gedanken andern Dingen zuzuwenden,
verlor sie sich immer mehr in dieses Leid, gefiel sich darin und
trug es in alle Einzelheiten ihres Lebens. Ein ungeschickt
serviertes Gericht, eine offengelassene Türe brachte sie in
Aufregung. Ein hübsches Kleid, das sie nicht haben konnte, ein
Vergnügen, auf das sie verzichten mußte, machte sie unglücklich.
Weil sich ihre kühnen Träume nicht erfüllten, ward ihr das Haus zu
eng.
Daß Karl keine Dulderin in ihr sah, das empörte sie am
allermeisten. Seine felsenfeste Überzeugung, daß er seine Frau
glücklich mache, dünkte sie
Beschränktheit, Beleidigung, Undankbarkeit. Für wen war sie denn so
vernünftig? War es nicht gerade Karl, der sie von jedwedem Glück
trennte? War nicht er der Anlaß all ihres Elends, das Schloß an der
Tür ihres qualvollen Käfigs?
So häufte sie auf ihn alle Bitternisse ihres Herzens. Jeder
Versuch, diese Verstimmungen zu bekämpfen, verschlimmerten sie nur.
Denn die vergebliche Mühe machte sie noch mutloser und entfernte
sie noch mehr von ihrem Manne. Gerade seine Gutmütigkeit reizte sie
zur Rebellion. Die Spießerlichkeit ihrer Wohnung verlockte sie zu
Utopien von Pracht und Herrlichkeit, und die ehelichen Freuden zu
ehebrecherischen Gelüsten. Sie bedauerte es, daß Karl sie nicht
schlecht behandelte; dann hätte sie gerechten Anlaß gehabt, sich an
ihm zu rächen. Zuweilen freilich erschrak sie vor den Irrwegen, auf
die sie in Gedanken geriet. Und immer mußte sie lächeln, wenn sie
in einem fort hörte, daß sie glücklich sei, oder wenn sie sich
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