Madame Bovary
nicht gleich lösen, und so
berührte sie ein paar Minuten lang leise mit ihren Fingern den Hals
des jungen Burschen. Dann goß sie Essig auf ihr
Batisttaschentuch, betupfte ihm ein
paarmal behutsam die Schläfen und blies dann ein wenig darauf.
Der Knecht war bereits wieder munter, aber Justins Ohnmacht
dauerte an. Seine Augäpfel verschwammen in ihrem bleichen Gallert
wie blaue Blumen in Milch.
»Er darf das da nicht sehen!« ordnete Karl an.
Frau Bovary ergriff die Schüssel und setzte sie unter den Tisch.
Bei diesem Sichbücken bauschte sich ihr Rock (ein weiter gelber
Rock mit vier Falbeln) um sie herum und stand wie steif auf der
Diele, und je nach der Bewegung Emmas, die sich neigte, die Arme
ausstreckte und sich dabei in den Hüften ein wenig hin und her
drehte, wogte der Stoff auf und nieder. Dann nahm sie eine
Wasserflasche und löste ein paar Stück Zucker in einem Glase.
In diesem Augenblicke trat der Apotheker ein. Das Mädchen hatte
ihn vor Schreck herbeigeholt. Als er seinen Gehilfen wieder bei
Bewußtsein sah, atmete er auf. Dann ging er um ihn herum und
betrachtete sich ihn von oben bis unten.
»Dummkopf!« brummte er. »Ein Dummkopf, wie er im Buche steht!
Als obs wer weiß was wäre! Ein bißchen Aderlaß! Weiter nichts! Und
das will ein forscher Kerl sein! Ja, wenn es gilt, von den höchsten
Bäumen die Nüsse herunterzuholen, da klettert er wie ein
Eichhörnchen … Na, tu deinen Mund auf und zeig dich mal in deiner
Gloria! Das sind ja nette Eigenschaften für einen, der mal
Apotheker werden will! Ich sage dir: als Apotheker kommt man in die
schwierigsten Lagen. So zum Beispiel vor Gericht als
Sachverständiger. Da heißt es kaltblütig sein, hübsch ruhig
überlegen und ein ganzer Mann sein! Sonst gilt man als
Schwachmatikus….«
Justin sagte kein Wort. Der Apotheker fuhr fort:
»Wer hat dir denn übrigens gesagt, daß du hierher gehen sollst?
In einem fort belästigst du Herrn und Frau Doktor! Noch
dazu an den Markttagen, wo du drüben so
notwendig gebraucht wirst! Es warten zurzeit zwanzig Kunden im
Laden. Deinetwegen habe ich alles stehn und liegen lassen. Marsch!
Hinüber! Trab! Gib auf die Arzneien acht! Ich komme gleich
nach!«
Als Justin seine Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte und
fort war, plauderte man noch ein wenig über Ohnmachtanfälle. Frau
Bovary sagte, sie hätte noch nie einen gehabt.
»Ja, bei Damen kommt so was sehr selten vor!« behauptete
Boulanger. »Es gibt aber auch Leute, die allzu zimperlich sind. Da
hab ich gelegentlich eines Duells erlebt, daß ein Zeuge ohnmächtig
wurde, als die Pistolen beim Laden knackten.«
»Was mich anbelangt,« erklärte der Apotheker, »mich stört der
Anblick fremden Blutes ganz und gar nicht. Aber der bloße Gedanke,
ich selber könne bluten, der macht mich schwindlig, wenn ich nicht
schnell an was andres denke.«
Inzwischen hatte Boulanger seinen Knecht fortgeschickt, nachdem
er ihn ermahnt, sich nun zu beruhigen.
»Nun ists aber alle mit der Einbildung!« sagte er ihm. »Die hat
mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft verschafft«, fügte er hinzu. Bei
dieser Phrase blickte er Emma an. Dann legte er einen Taler auf die
Tischecke, grüßte flüchtig und verschwand.
Bald darauf erschien er drüben auf dem andern Ufer des Baches.
Das war sein Weg nach der Hüchette. Emma sah ihm von einem der
Hinterfenster nach, wie er über die Wiesen ging, die Pappeln
entlang, langsam wie einer, der über etwas nachdenkt.
»Allerliebst!« sagte er bei sich. »Wirklich allerliebst, diese
Doktorsfrau. Schöne Zähne, schwarze Augen, niedliche Füße und
schick wie eine Pariserin! Zum Teufel, wo mag sie her sein? Wo mag
sie dieser Schlot nur aufgegabelt haben?«
Rudolf Boulanger war vierunddreißig Jahre alt von roher
Gemütsart und scharfem Verstand. Er hatte sich viel mit
Weibernabgegeben und war Kenner auf diesem
Gebiete. Die da gefiel ihm. Somit beschäftigte sie ihn in Gedanken,
ebenso ihr Mann.
»Ich glaube, er ist mordsblöde. Sie hat ihn satt, zweifelsohne.
Er hat dreckige Fingernägel und rasiert sich nur aller drei Tage.
Wenn er seine Patienten abzurennen hat, sitzt sie daheim und stopft
Strümpfe. Und langweilt sich. Sehnt sich nach der großen Stadt und
möchte am liebsten alle Abende auf den Ball. Arme kleine Frau! So
was schnappt nach Liebe wie ein Karpfen auf dem Küchentisch nach
Wasser! Drei nette Worte, und sie ist futsch! Sicherlich! Das wär
was fürs Herze! Scharmant! Aber wie kriegt man sie hinterher
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