Madame Bovary
wieder
los?«
Diese Einschränkung des in der Ferne stehenden Genusses
erinnerte ihn – zum Kontrast – an seine Geliebte, eine
Schauspielerin in Rouen, die er aushielt. Er vergegenwärtigte sich
ihren Körper, dessen er sogar in der Vorstellung überdrüssig
war.
»Ja, diese Frau Bovary,« dachte er bei sich, »die ist viel
hübscher, vor allem frischer. Virginie wird entschieden zu fett.
Sie zu haben, ist langweilig. Dazu ihre alberne Leidenschaft für
Krebse!«
Die Fluren waren menschenleer. Rudolf hörte nichts als das
taktmäßige Rascheln der Halme, die er beim Gehen streifte, und das
ferne Gezirpe der Grillen im Hafer. Er schaute Emma vor sich, in
ihrer Umgebung, angezogen, wie er sie gesehen hatte. Und in der
Phantasie entkleidete er sie.
»Oh, ich werde sie haben!« rief er aus und zerschlug mit einem
Schlage seines Spazierstockes eine Erdscholle, die im Wege lag.
Sodann überlegte er sich den taktischen Teil der Unternehmung.
Er fragte sich:
»Wie kann ich mit ihr zusammenkommen? Wie bring ich das
zustande? Sie wird egal ihr Baby im Arme haben. Und dann das
Dienstmädel, die Nachbarn, der Mann und der unvermeidliche Klatsch!
Ach was! Unnütze Zeitvergeudung!«
Nach einer Weile begann er von neuem:
»Sie hat Augen, die einem wie Bohrer in das Herz dringen! Und
wie blaß sie ist … Blasse Frauen sind meine Schwärmerei!«
Auf der Höhe von Argueil war sein Kriegsplan fertig.
»Ich brauche bloß noch günstige Gelegenheiten. Gut! Ich werde
ein paarmal gelegentlich mit hingehen, ihnen Wildbret schicken und
Geflügel. Nötigenfalls lasse ich mich ein bißchen schröpfen. Wir
müssen gute Freunde werden. Dann lade ich die beiden zu mir ein …
Teufel noch mal, nächstens ist doch der Landwirtschaftliche Tag! Da
wird sie hinkommen, da werde ich sie sehen! Dann heißts: Attacke!
Und feste drauf! Das ist immer das Beste.«
Kapitel 8
Endlich war sie da, die berühmte Jahresversammlung der
Landwirte! Vom frühen Morgen an standen alle Einwohner von Yonville
an ihren Haustüren und sprachen von den Dingen, die da kommen
sollten. Die Stirnseite des Rathauses war mit Efeugirlanden
geschmückt. Drüben auf einer Wiese war ein großes Zelt für das
Festmahl aufgeschlagen worden, und mitten auf dem Markte vor der
Kirche stand ein Böller, der die Ankunft des Landrats und die
Preiskrönung donnernd verkünden sollte. Die Bürgergarde von Büchy –
in Yonville gab es keine – war anmarschiert und hatte sich mit der
heimischen Feuerwehr, deren Hauptmann Herr Binet war, zu einem
Korps vereinigt. Selbiger trug an diesem Tage einen noch höheren
Kragen als gewöhnlich. In die Litewka eingezwängt, war sein
Oberkörper so steif und starr, daß es aussah, als sei alles Leben
in ihm in seine beiden Beine gerutscht, die sich parademarschmäßig
bewegten. Da der Oberst der Bürgergarde und der Hauptmann der
Feuerwehr eifersüchtig aufeinander waren, wollte jeder den andern
ausstechen, und so exerzierten beide ihre Mannschaft für sich.
Abwechselnd sah man die roten Epauletten und die schwarzen
Schutzleder vorbeimarschieren und wieder abschwenken. Das ging
immer wieder von neuem an und nahm schier kein Ende!
Noch nie hatte man in Yonville derartige Pracht und Herrlichkeit
gesehen. Verschiedene Bürger hatten tags zuvor ihre Häuser
abwaschen lassen. Weiß-rot-blaue Fahnen hingen aus den halboffnen
Fenstern herab, alle Kneipen waren voll; und da schönes Wetter war,
sahen die gestärkten Häubchen weißer wie Schnee aus, die Orden und
Medaillen blitzten in der Sonne wie eitel Gold, und die bunten
Tücher leuchteten buntscheckig aus dem tristen Einerlei der
schwarzen Röcke und blauen Blusen hervor.
Die Pächtersfrauen kamen aus den umliegenden
Dörfern geritten; beim Absitzen zogen sie die langen Nadeln heraus,
mit denen sie ihre Röcke hochgesteckt hatten, damit sie unterwegs
nicht schmutzig werden sollten. Die Männer andrerseits hatten zum
Schutze ihrer Hüte die Sacktücher darüber gezogen, deren Zipfel sie
mit den Zähnen festhielten.
Die Menge strömte von beiden Enden des Orts auf der Landstraße
heran und ergoß sich in alle Gassen, Alleen und Häuser. Überall
klingelten die Türen, um die Bürgerinnen herauszulassen, die in
Zwirnhandschuhen nach dem Festplatze wallten.
Zwei mit Lampions behängte hohe Taxusbäume, zu beiden Seiten der
vor dem Rathause errichteten Estrade für die Ehrengäste, erregten
ganz besonders die allgemeine Bewunderung. Übrigens hatte man an
den vier Säulen am Rathause so
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