Madame Bovary
allmählich ihre
Liebe. Das Ineinemfort tötete den Schmerz, und am Himmel ihrer
Gefühle verblaßte der erst grellrote Feuerschein und wich nach und
nach schwarzem Dunkel. Während ihres phantastischen Zustandes hatte
sich ihr Widerwille gegen den Gatten in Schwärmerei für den
Geliebten verwandelt, und die Glut ihres Hasses hatte ihre
zärtliche Sehnsucht gewärmt. Aber nunmehr, da ihre
stürmische unbefriedigte Leidenschaft zu
Asche gebrannt war, das keine Hilfe kam und keine neue Sonne
aufging, ward tiefe Nacht um sie herum. In eisiger Kälte stand sie
einsam da und erstarrte.
Die schrecklichen Tage von Tostes wiederholten sich nun. Nur
bildete sie sich ein, noch unglücklicher denn damals zu sein, weil
sie jetzt ein wirkliches Herzeleid trug und genau wußte, daß es nie
anders werden könne.
Eine Frau, die so viel geopfert, sei – so sagte sie sich –
wohlberechtigt, sich ein paar harmlose Liebhabereien zu gönnen. Sie
schaffte sich einen gotischen Betstuhl an und verbrauchte in vier
Wochen für vierzehn Franken Zitronen zur Pflege ihrer Hände. Sie
schrieb nach Rouen und bestellte sich ein blaues Kaschmirkleid. Bei
Lheureux suchte sie sich den schönsten Schal aus und trug ihn über
ihrem Hauskleid. Sie schloß die Läden, nahm ein Buch zur Hand und
blieb so stundenlang auf dem Sofa liegen.
Häufig änderte sie ihre Haartracht. Bald trug sie eine hohe
Frisur, bald lose Locken, bald einen Kranz von Zöpfen, bald einen
Scheitel.
Sie geriet auf den Einfall, Italienisch lernen zu wollen, und so
kaufte sie sich ein Wörterbuch, eine Grammatik und eine Menge
Schreibpapier. Dann versuchte sie es mit ernsthafter Lektüre, las
Geschichtswerke und philosophische Schriften.
Nachts fuhr Karl mitunter in die Höhe, im Glauben, man hole ihn
zu einem Kranken. Noch halb im Schlafe rief er:
»Ich bin gleich fertig!«
Aber es war nur das Knistern des Streichholzes gewesen, mit dem
sich Emma die Lampe angezündet hatte. Sie wollte lesen. Aber es
ging ihr wie mit ihren Stickereien, von denen ein ganzer Stoß
angefangen im Schranke lag. Sie pflegte sie anzufangen, dann liegen
zu lassen und eine andre zu beginnen.
Sie hatte launenhafte Stimmungen, in denen man sie leicht
zu dem Unglaublichsten verleiten konnte.
Einmal behauptete sie ihrem Manne gegenüber, sie könne ein Weinglas
voll Schnaps mit einem Zuge leeren, und da Karl so töricht war, es
zu bezweifeln, tat sie es wirklich.
Bei allen ihren »Extravaganzen« (die Spießbürger von Yonville
nannten das so!) sah Emma keineswegs unternehmungslustig aus. Im
Gegenteil. Um ihre Mundwinkel lagerten sich jene gewissen starren
Falten, die alte Jungfern und verbissene Streber zu haben pflegen.
Sie war völlig blaß, weiß wie Leinwand; die Haut ihrer Nase bildete
nach den Flügeln zu Fältchen, und ihre Augen blickten wie ins
Leere. Seitdem sie an den Schläfen ein paar graue Haare entdeckt
hatte, nannte sie sich gesprächsweise eine alte Frau.
Oft hatte sie Schwindelanfälle, und eines Tages spuckte sie
sogar Blut. Aber als sich Karl eifrig um sie bemühte und seine
Besorgnis verriet, meinte sie:
»Laß mich! Es ist mir alles gleich!«
Karl zog sich in sein Sprechzimmer zurück. Er sank in seinen
Schreibsessel, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und
weinte – unter dem phrenologischen Schädel.
Nach einer Weile setzte er einen Brief an seine Mutter auf und
bat sie zu kommen. Es fand zwischen beiden eine lange Konferenz
Emmas wegen statt. Welche Maßnahmen sollten getroffen werden? Was
sollte geschehen? Wo sie jedwede ärztliche Behandlung ablehnte!
»Weißt du, was deiner Frau fehlt?« meinte Frau Bovary
schließlich. »Eine ordentliche Beschäftigung! Körperliche Arbeit!
Wenn sie wie so manch andre ihr tägliches Brot selber verdienen
müßte, dann hätte sie keine Nerven und Launen. Die kommen bloß von
den überspannten Ideen, die sie sich aus purer Langweile in den
Kopf setzt.«
»Beschäftigung hat sie doch aber!« erwiderte
Karl.
»So! Sie hat Beschäftigung? Was für welche denn? Romane
schmökert sie, schlechte Bücher, Schriften gegen die Religion, in
denen die Geistlichen verhöhnt werden mit Redensarten aus dem
Voltaire! Armer Junge, das führt zu nichts Gutem, und wer kein
guter Christ ist, mit dem nimmt es mal ein schlechtes Ende!«
Also ward beschlossen, Emma am Romanlesen zu hindern. Das schien
nicht so einfach, aber Mutter Bovary nahm die Sache auf sich. Auf
ihrer Heimreise wollte sie in Rouen persönlich zum Leihbibliothekar
gehen
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