Madame Bovary
vorrätig gewesen war.
Homais hatte das alles eigenhändig vorbereitet, sowohl um die Leute
zu verblüffen als auch um sich selbst etwas vorzumachen.
Karl führte den Einschnitt aus. Ein platzendes Geräusch. Die
Sehne war zerschnitten, die Operation beendet.
Hippolyt war vor Erstaunen außer aller Fassung. Er nahm Bovarys
Hände und bedeckte sie mit Küssen.
»Erst mal Ruhe!« gebot der Apotheker. »Die Dankbarkeit für
deinen Wohltäter kannst du ja später bezeigen!«
Er ging hinunter, um das Ereignis den fünf oder sechs
Neugierigen mitzuteilen, die im Hofe herumstanden und sich
eingebildet hatten, Hippolyt werde erscheinen und mit einem Male
laufen wie jeder andere. Karl schnallte seinem Patienten das
Gehäuse an und begab sich sodann nach Haus, wo ihn Emma angstvoll
an der Türe erwartete. Sie fiel ihm um den Hals.
Sie setzten sich zu Tisch. Er aß viel und verlangte zum
Nachtisch sogar eine Tasse Kaffee; diesen
Luxus erlaubte er sich sonst nur Sonntags, wenn ein Gast da
war.
Der Abend verlief in heiterer Stimmung unter Gesprächen und
gemeinsamem Pläneschmieden. Sie plauderten vom kommenden Glücke,
von der Hebung ihres Hausstandes. Er sah seinen ärztlichen Ruf
wachsen, seinen Wohlstand gedeihen und die Liebe seiner Frau
immerdar währen. Und sie, sie fühlte sich beglückt und verjüngt,
gesünder und besser in ihrer wiedererstandenen leisen Zuneigung für
diesen armen Mann, der sie so sehr liebte. Flüchtig schoß ihr der
Gedanke an Rudolf durch den Kopf, aber ihre Augen ruhten alsbald
wieder auf Karl, und dabei bemerkte sie erstaunt, daß seine Zähne
eigentlich gar nicht häßlich waren.
Sie waren bereits zu Bett, als Homais trotz der Abwehr des
Mädchens plötzlich ins Zimmer trat, in der Hand ein frisch
beschriebenes Stück Papier. Es war der Reklame-Aufsatz, den er für
den »Leuchtturm von Rouen« verfaßt hatte. Er brachte ihn, um ihn
dem Arzte zum Lesen zu geben.
»Lesen Sie ihn vor!« bat Bovary.
Der Apotheker tat es:
»Ungeachtet der Vorurteile, in die ein Teil der
Europäer noch immer verstrickt ist wie in ein Netz, beginnt es in
unserer Gegend doch zu tagen. Am Dienstag war unser Städtchen
Yonville der Schauplatz einer chirurgischen Tat, die zugleich ein
Beispiel edelster Menschenliebe ist. Herr Karl Bovary, einer
unserer angesehensten praktischen Ärzte,….«
»Ach, das ist zu viel! Das ist zu viel!« unterbrach ihn Karl,
vor Erregung tief atmend.
»Aber durchaus nicht! Wieso denn?«
Er las weiter:
»… hat den verkrüppelten Fuß….«
Er unterbrach sich selbst:
»Ich habe hier absichtlich den terminus
techicus vermieden, wissen Sie! In einer Tageszeitung muß alles
gemeinverständlich sein … die große Masse….«
»Sehr richtig!« meinte Bovary. »Bitte fahren Sie fort!«
»Ich wiederhole:
Herr Karl Bovary, einer unserer angesehensten praktischen Ärzte,
hat den verkrüppelten Fuß eines gewissen Hippolyt Tautain operiert,
des langjährigen Hausknechts im Hotel zum Goldnen Löwen der
verwitweten Frau Franz am Markt. Das aktuelle Ereignis und das
allgemeine Interesse an der Operation hatten eine derartig große
Volksmenge angezogen, daß der Zugang zu dem Etablissement gesperrt
werden mußte. Die Operation selbst vollzog sich wunderbar schnell.
Bluterguß trat so gut wie nicht ein. Kaum ein paar Blutstropfen
verrieten, daß ein hartnäckiges Leiden endlich der Macht der
Wissenschaft wich. Der Kranke verspürte dabei erstaunlicherweise –
wie der Berichterstatter als Augenzeuge versichern darf – nicht den
geringsten Schmerz, und sein Zustand läßt bis jetzt nichts zu
wünschen übrig. Allem Dafürhalten nach wird die vollständige
Heilung rasch erfolgen, und wer weiß, ob der brave Hippolyt nicht
bei der kommenden Kirmes mit den flotten Urlaubern um die Wette
tanzen und seine Wiederherstellung durch muntere Sprünge feiern
wird? Ehre aber den hochherzigen Gelehrten, Ehre den unermüdlichen
Geistern, die ihre Nächte der Menschheit zum Heile opfern! Ehre,
dreimal Ehre ihnen!
Der Tag wird noch kommen, wo verkündet werden wird, daß die
Blinden sehen, die Tauben hören und die Lahmen gehen! Was der
kirchliche Aberglaube ehedem nur den Auserwählten versprach,
schenkt die Wissenschaft mehr und mehr allen Menschen. Wir werden
unsere verehrten Leser über den weiteren
Verlauf dieser so ungemein merkwürdigen Kur auf dem laufenden
erhalten.«
Trotz alledem kam fünf Tage darauf die Löwenwirtin ganz verstört
gelaufen und rief:
»Zu Hilfe! Er stirbt! Ich weiß nicht,
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