Madame Bovary
was ich machen soll!«
Karl rannte Hals über Kopf nach dem Goldnen Löwen, und der
Apotheker, der den Arzt so über den Markt stürmen sah, verließ
sofort im bloßen Kopfe seinen Laden. Atemlos, aufgeregt und mit
rotem Gesichte erreichte er den Gasthof und fragte jeden, dem er
auf der Treppe begegnete:
»Na, was macht denn unser interessanter Strephopode?«
Der Strephopode wand sich in schrecklichen Zuckungen, so daß das
Gehäuse, in das sein Bein eingezwängt war, gegen die Wand
geschlagen ward und entzwei zu gehen drohte.
Mit vieler Vorsicht, um ja dabei die Lage des Fußes nicht zu
verschieben, entfernte man das Holzgehäuse. Und nun bot sich ein
gräßlicher Anblick dar. Die Form des Fußes war unter einer
derartigen Schwellung verschwunden, daß es aussah, als platze
demnächst die ganze Haut. Diese war blutunterlaufen und von
Druckflecken bedeckt, die das famose Gehäuse verursacht hatte.
Hippolyt hatte von Anfang an über Schmerzen geklagt, aber man hatte
ihn nicht angehört. Nachdem man nunmehr einsah, daß er im Rechte
gewesen war, gönnte man ihm ein paar Stunden Befreiung. Aber sowie
die Schwellung ein wenig zurückgegangen war, hielten es die beiden
Heilkünstler für angebracht, das Bein wieder einzuschienen und es
noch fester einzupressen, um dadurch die Wiederherstellung zu
beschleunigen.
Aber nach drei Tagen vermochte es Hippolyt nicht mehr
auszuhalten. Man nahm ihm den Apparat abermals ab und war höchst
über das verwundert, was sich nunmehr herausstellte. Die
schwärzlichblau gewordene Schwellung erstreckte sich
über das ganze Bein, das ganz voller
Blasen war; eine dunkle Flüssigkeit sonderte sich ab. Man wurde
bedenklich.
Hippolyt begann sich zu langweilen, und Frau Franz ließ ihn in
die kleine Gaststube bringen neben der Küche, damit er wenigstens
etwas Zerstreuung hätte. Aber der Steuereinnehmer, der dort seinen
Stammplatz hatte, beschwerte sich über diese Nachbarschaft. Nunmehr
schaffte man den Kranken in das Billardzimmer. Dort lag er wimmernd
unter seinen schweren Decken, blaß, unrasiert, mit eingesunkenen
Augen. Von Zeit zu Zeit wandte er seinen in Schweiß gebadeten Kopf
auf dem schmutzigen Kissen hin und her, wenn ihn die Fliegen
quälten.
Frau Bovary besuchte ihn. Sie brachte ihm Leinwand zu den
Umschlägen, tröstete ihn und sprach ihm Mut ein. Auch sonst fehlte
es ihm nicht an Gesellschaft, zumal an den Markttagen, wenn die
Bauern drin bei ihm Billard spielten, mit den Queuen
herumfuchtelten, rauchten, zechten, sangen und Spektakel
machten.
»Wie geht dirs denn?« fragten sie ihn und klopften ihm auf die
Schulter. »So recht auf dem Damme bist du wohl nicht? Bist aber
selber schuld daran!« Er hätte dies oder jenes machen sollen. Sie
erzählten ihm von Leuten, die durch ganz andere Heilmittel
wiederhergestellt worden seien. Und zum sonderbaren Trost meinten
sie:
»Du bist viel zu zimperlich! Steh doch auf! Du läßt dich wie ein
Fürst verhätscheln! Das ist Unsinn, alter Schlaumeier! Und
besonders gut riechst du auch nicht!«
Inzwischen griff der Brand immer weiter um sich. Bovary ward
fast selber krank davon. Er kam aller Stunden, aller Augenblicke.
Hippolyt sah ihn mit angsterfüllten Augen an. Schluchzend stammelte
er:
»Lieber Herr Doktor, wann werd ich denn
wieder gesund? Ach, helfen Sie mir! Ich bin so unglücklich, so
unglücklich!«
Bovary schrieb ihm alle Tage vor, was er essen solle. Dann
verließ er ihn.
»Hör nur gar nicht auf ihn, mein Junge!« meinte die Löwenwirtin.
»Sie haben dich schon gerade genug geschunden! Das macht dich bloß
immer noch schwächer! Da, trink!«
Sie gab ihm hin und wieder Fleischbrühe, ein Stück Hammelkeule,
Speck und manchmal ein Gläschen Schnaps, den er kaum an seine
Lippen zu bringen wagte.
Abbé Bournisien, der gehört hatte, daß es Hippolyt schlechter
ging, kam ihn zu besuchen. Er bedauerte ihn, dann aber erklärte er,
in gewisser Beziehung müsse sich der Kranke freuen, denn es sei des
Herrn Wille, der ihm Gelegenheit gäbe, sich mit dem Himmel zu
versöhnen.
»Siehst du,« sagte der Priester in väterlichem Tone, »du hast
deine Pflichten recht vernachlässigt! Man hat dich selten in der
Kirche gesehen. Wieviel Jahre lang hast du das heilige Abendmahl
nicht genommen? Ich gebe zu, daß deine Beschäftigung und der Trubel
der Welt dich abgehalten haben, für dein Seelenheil zu sorgen. Aber
jetzt ist es an der Zeit, daß du dich darum kümmerst. Verzweifle
indessen nicht! Ich habe große Sünder gekannt, die,
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